Sanktionen keine Chance gegeben

US-Kongreß erteilt Präsident Bush Vollmacht für den militärischen Einsatz nach dem 15. Januar/ Nur bei sofortigem massivem Rückzug der irakischen Truppen hält George Bush eine Verhinderung des Krieges noch für möglich  ■ Aus Washington Rolf Paasch

George Bush hat bekommen, was er verlangt hat. Der Kongreß der Vereinigten Staaten hat dem Präsidenten am Samstag mit Wirkung vom 16. Januar die Kriegsvollmacht ausgestellt. Nach einer so konzentriert wie leidenschaftlich geführten Debatte votierten beide Kammern des US- Parlaments für eine Resolution, in der Präsident Bush die Erlaubnis erteilt wird, die irakischen Truppen nach Ablauf des UNO-Ultimatums am 15. Januar mit militärischen Mitteln aus Kuwait zu vertreiben: das Repräsentantenhaus mit 250 gegen 183 Stimmen, der Senat nur knapp mit 52 gegen 47 Stimmen. Die nach dreitägigen Diskussionen getroffene Entscheidung kommt einer Kriegserklärung der USA an den Irak gleich, sofern Saddam Hussein nicht bis zum 15. Januar mit dem Rückzug seiner Besatzungstruppen aus Kuwait begonnen hat. Außerdem bekräftige das Repräsentantenhaus am Samstag in einer symbolischen Abstimmung das verfassungsmäßige Recht des Kongresses, einen Krieg zu erklären.

In einer unmittelbar nach diesen Kongreßabstimmungen abgehaltenen Pressekonferenz im Weißen Haus warnte Präsident Bush den Irak noch einmal ausdrücklich, die Frist bis 15. Januar nicht zu „mißachten“. Wenn Saddam Hussein „sofort“ und „ohne Bedingungen und ohne Zugeständnisse“ mit einem „Truppenabzug auf breiter Basis“ beginne, so Bush, könne ein Krieg noch vermieden werden. „Ich kann Ihnen nicht sagen, was ich [am Dienstag, R.P.] um Mitternacht tun werde“, erklärte Bush den fragenden Reportern. Weil er immer noch hoffe, „daß es eine friedliche Lösung gibt“, habe er noch keine Entscheidung über einen Militäreinsatz getroffen.

Die Abstimmungen von Senat und Repräsentantenhaus standen am Ende mehr als zwanzigstündiger Debatten, die in ihrer Seriösität, Emotionalität und Leidenschaft für den US-Kongreß wohl einmalig waren. In aller Offenheit entblößten die amerikanischen Volksvertreter ihre Gewissenskonflikte, versuchten in historischen Vergleichen vom Römischen Reich über München 1938 bis hin zum Vietnamkrieg nach Handlungsanleitungen und stellten sich immer wieder die Frage nach ihrer Verantwortung gegenüber den „Kids“ der in Saudi-Arabien stationierten US-Streitmacht. „Werde ich den Eltern und Ehefrauen, den Ehemännern und Kindern in die Augen schauen können“, so fragte Senator Nunn für viele, „und sagen können, daß ihre Liebsten für lebenswichtige Interessen der Vereinigten Staaten ihr Leben gelassen haben und daß es keine vernünftige Alternative dazu gab?“

Auch wenn die Kongreßmitglieder am Ende weitgehend entlang der Parteilinien abstimmten, verzichteten sie auf Effekthascherei und Parteiengezänk. Letzteres fehlte wohl auch deswegen, weil zum gegenwärtigen Zeitpunkt niemand weiß, welche Entscheidung sich im nachhinein als politisch vorteilhaft herausstellen wird. Im Senat stimmten nur zwei Republikaner, der Pazifist Mark Hatfield aus Oregon und der Isolationist Charles Grassley aus Iowa, für die demokratische Resolution, die eine Fortführung der Sanktionspolitik gegenüber dem Irak forderte. Dagegen folgten zehn Südstaaten-Demokraten dem Ruf des Präsidenten nach der Kriegsermächtigung, obwohl sich der Großteil der am Golf stationierten Streitkräfte aus genau diesen Bundesstaaten rekrutiert. Im Repräsentantenhaus bekundeten dagegen 86 Demokraten ihre parteiübergreifende Loyalität gegenüber George Bush.

Zum Auftakt der Debatte hatte Senator Nunn, der einflußreiche Vorsitzende des Militärausschusses und voraussichtliche Präsidentschaftskandidat der Demokraten, vor einem inflationären Gebrauch des Begriffs von den „lebenswichtigen Interessen der USA“ gewarnt. Kuwait, so erinnerte er seine Kollegen, sei für die USA vor dem 2. August keineswegs von lebenswichtigem Interesse gewesen. Und auch die Hast der Bush- Administration und der Kriegsbefürworter behagte dem sonst so konservativen Demokraten aus Georgia gar nicht. „Wir Amerikaner wollen jetzt den militärischen Erfolg so schnell wie unser Fast-food.“

Nur wenige verbanden ihr Plädoyer nach Sanktionen mit einer expliziten Kritik an der Bush-Administration wie Senator Joe Biden, Demokrat aus Delaware. „Es sind die Beschwichtiger von gestern“, so reagierte Biden auf den Vorwurf, mit der Forderung nach Sanktionen eine Appeasement-Politik zu befürworten, „die jetzt das Blut unserer Söhne vergießen wollen.“

Andere wie Senator Boren aus Oklahoma, Demokrat und Vorsitzender des Geheimdienstausschusses, führten das Argument wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit gegen einen Krieg an. Während Japan seine Interessen am Golf noch nicht einmal einen Koalitionsbeitrag von vier Milliarden Dollar wert seien, so Boren, seien die Vereinigten Staaten trotz ihrer weitaus schlechteren ökonomischen Lage im Begriff, in einen Krieg zur Befreiung Kuwaits bis zu 200 Milliarden Dollar zu investieren. Verbale Attacken und Seitenhiebe auf die zahlungsunwilligen Alliierten, allen voran Japan und Deutschland, fehlten denn auch in kaum einem Redebeitrag.

Die Gegenseite argumentierte demgegenüber vielfach mit der Macht des Faktischen. Die Ermächtigung des Präsidenten zur militärischen Durchführung der UNO-Resolution sei schon allein deswegen nötig, um der gewaltsamen Drohung der Bush-Administration Überzeugungskraft zu verleihen.

Auch er wäre für die Fortführung des Wirtschaftsembargos gewesen, erklärte der demokratische Senator für Louisiana, Bennett Johnston. Doch George Bush habe mit seiner am 8. November verfügten Verdoppelung der US-Truppen in Saudi- Arabien die Entscheidung gegen Sanktionen schon längst getroffen. „Die Würfel sind gefallen“, erklärte Johnston, der die im Falle einer verlängerten Sanktionsstrategie erforderliche Halbierung der US-Streitkräfte am Golf für unrealistisch hält. Ohne die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht ließe sich nämlich die bei einer langfristigen Stärke von 430.000 Soldaten notwendige Rotation der Truppen nicht mehr realisieren.

Wie Bennett Johnston, so bedauerten viele Kongreßmitglieder, daß die jetzige Debatte nicht bereits im November stattgefunden habe. Warum der Kongreß damals nicht seine Parlamentsferien unterbrach, um die eigenmächtige Entscheidung Bushs über eine Verdoppelung der Truppenstärke — die vielleicht größte Fehlkalkulation der gesamten Golfkrise — zumindest zu debattieren, wenn nicht gar zu korrigieren, diese peinliche Frage stellten sich die Abgeordneten jedoch nicht. Der Schulterschluß mit dem Präsidenten erschien den meisten zum jetzigen Zeitpunkt wichtiger als Kritik an der Administration oder gar Selbstkritik.

Dieses Wissen aller Beteiligten, daß die wirkliche Entscheidung über Sanktionen oder Krieg ohne Konsultation und Zutun der Volksvertreter bereits im November gefallen war, stellte denn auch den großen Makel einer Debatte dar, deren Ernsthaftigkeit der amerikanischen Demokratie ansonsten zu großer Ehre gereicht hätte.