„Die Richtung war von Anfang an klar“

■ Nach Meinung von Marina Pawlowna Siljanskowa, Mitglied der fortschrittlichen „Interregionalen Deputiertengruppe“, war die Intervention seit langem geplant INTERVIEW

taz: Frau Siljanskowa, könnte nicht das Militär vor Ort die Sache selbst in die Hand genommen haben?

Siljanskowa: Die Interregionale Deputiertengruppe war schon vor einem Monat der Meinung, daß ein solche Intervention von Moskau geplant war. Erste Anzeichen dafür waren die Ernennungen von Pugow und Gromow als Innenminister. Pugow stammt aus Lettland und kennt das politische Terrain dort ganz genau. Gromow hat seine Erfahrungen in Afghanistan gesammelt. Außerdem hat die einflußreiche konservativ-nationalistische Fraktion im Volksdeputiertenkongreß „Sojus“ ziemlich offen von Aktionen im Februar gesprochen. Das heißt, sie haben das schon immer mit möglichen Aktionen im Persischen Golf verknüpft. Und dann spielten sie mit der Verschärfung der Lebensmittelknappheit. Auch Schewardnadses Rücktritt war ein Zeichen. Insofern ist das alles nichts Neues, nur kannte keiner den Zeitpunkt. Aber die Richtung war klar.

Gorbatschow war also im Bilde? Und steckt dahinter etwa eine differenzierte Strategie?

Gorbatschow wußte genau Bescheid. Ob es sich um eine klare Strategie handelt, ist mir unklar. Warum er mit dieser Härte gegen Litauen gehandelt und die anderen beiden baltischen Republiken erstmal verschont hat, ob sich das aus der Situation heraus entwickelt oder es von Anfang an geplant war, kann ich nicht beurteilen.

Welche Auswirkungen wird die Besetzung Litauens auf die innenpolitische Situation im ganzen Land haben? Müssen wir wirklich fürchten, daß das Rad auf den Status quo ante zurückgedreht wird?

Das schlimmste an der ganzen Situation ist, daß in Moskau die Menschen auf der Straße überhaupt nicht reagieren. Die meisten sind nicht informiert. Durch die offiziellen Informationskanäle kommt nichts durch. Die Nachrichten sind so zweideutig, daß ein normaler Mensch überhaupt nicht weiß, was in Litauen passiert. Das hat natürlich System. Der Prozeß des Rückschlags vollzieht sich nicht abrupt, nicht auf einmal, sondern nach und nach. Kein Coup. Nein, hier dreht man eine Schraube an, dort verhaftet man jemanden. Wenn man die Interessen der Konservativen im Auge hat, dann scheint mir dieses Vorgehen Sinn zu machen. Denn man kann keinen massenhaften Protest gegen die Absetzung einer Fernsehsendung organisieren. Da meckert hier und da mal einer, damit hat sich's aber auch schon. Bei einem Coup ließe sich dagegen ein wesentlich größerer Protest mobilisieren. Noch sind alle zu sehr mit ihren Tagesnöten beschäftigt.

Hat die eindeutige Stellungnahme Jelzins und des Parlaments der Russischen Föderation für eine friedliche Lösung der Baltikumfrage eigentlich mehr als nur symbolisches Gewicht? Oder entwickelt sich hier der entscheidende Kampf um die Macht?

Der politische Kampf ist noch nicht zu Ende. Aber was kann die Russische Föderation eigentlich machen? Sie verfügt über keine Armee und keine Panzer. Sie muß bei politischen Deklarationen bleiben. Davon hat sie schon mehrere verabschiedet. Im Grunde genommen ist die Föderation machtlos und gelähmt. Interview: Klaus-Helge-Donath