Man kommt viel rum

■ Mein kleines Vorkriegs-Tagebuch: 8.Folge

14. Januar

Liegt schon ein paar Tage zurück, fiel mir aber wieder ein: die »Heute«- Sendung letzten Donnerstag um 19 Uhr. »Guten Abend, meine Damen und Herren, ich begrüße Sie. Nach dem Scheitern der Irak...«. Tonausfall, Bildzeilengehaspel. Nachrichtensprecherin schemenhaft im blauen Halbdunkel, sucht offensichtlich nach irgendeinem Schalter. Dann Bildtafel: »Wir bitten um ein wenig Geduld.« Freundliche Musik. Kurzer Auftritt einer anderen Sprecherin: »Stromausfall auf dem Lärchenberg in Mainz. Sie sehen, auch bei uns gibt es so etwas.« Schließlich meldet sich die Nachrichtensprecherin zurück: »Wir hoffen, Sie haben sich nicht zu sehr beunruhigt«, und verabreicht programmgemäß ihre Beruhigungspillen: Ich erfahre von der allerallerletzten kleinen Chance, den Krieg zu verhindern, von einem neuen Krisenherd in Litauen, von einem weiteren Countdown: die jugoslawischen Milizen sollen nach dem 19. Januar von der Armee entwaffnet werden. Und vom Klimakollaps: 1990 soll das heißeste Jahr seit Beginn der metereologischen Aufzeichnungen gewesen sein.

Dann am Wochenende Hans-Joachim Friedrichs: »Bei den sich überstürzenden Ereignissen — Golf, Litauen, Späth — fällt die Wahl schwer. Wir beginnen mit dem nächsten schweren Krisenherd: Litauen.« Bilder von schießenden Panzern, Schwerverletzten, Toten. Dazwischen Gerd Ruge, Korrespondent: »Womit eben geschossen wurde, ist Gas. Ich hoffe, daß es Tränengas und nicht Giftgas war. Panzer haben Menschen überrollt.« Ich denke an den Mann, der damals hier in Berlin bei einer Hausbesetzerdemo von Mannschaftswagen der Polizei überfahren wurde; der sitzt heute als Krüppel im Rollstuhl ohne einen Pfennig Entschädigung. Ja, da hinten, da anderswo, da gibt es noch das Böse.

Wie anrührend-bilderlos meine freche Zeitung da wieder im Mittelfeld des Mainstreams herumhumpelt, wie sie schlagzeilt: »Schüsse gegen Litauens Freiheit«.

Birgit ruft an, total verwirrt. Ihre Tochter Anja will nach dem Abitur zur Bundeswehr. Sie möchte Ärztin werden und hat herausgefunden, daß ihr das Militär schon während der Studienzeit ein staatliches Gehalt bezahlt. Danach sicherer Arbeitsplatz und sie »kommt viel rum«, habe Anja ihr erklärt. Birgit schluchzend: »Von mir kann sie das nicht haben, dieses straighte Sicherheitsdenken.«

Hausfrauen-Vorsorgementalität: Der Golf-Krimi ist noch gar nicht heruntergespült, da wird der Sensationsregler schon mal auf alle Fälle an andrer Stelle hochgefahren. Gerd Ruge sitzt abgeschlafft, zerrüttet in irgendeinem litauischen Wohnzimmerstudio, zerwühltes Haar, schmutziges Hemd, übernächtigt, fahrige Gesten. »So weit die Füße tragen und mit letzter Kraft den Beitrag einsprechen«, kommentiert Christian neben mir den neuen Korrespondentenlook. »Aber bringt er gut rüber, die neue Außerordentlichkeit.«

Heute Auszug unserer Nachbarn Ehepaar Priske-Klotz. Doppelname, Doppelverdiener. In der Studienzeit ein eigenhändiger Umzug selbstverständlich. Aus Sentimentalität haben sie diese bandscheibenmalträtierende Angewohnheit beibehalten — trotz gutem BAT-Gehalts. Den ganzen Tag also furchtbares Gerumpel; irgendwann muß Herr Priske mitten auf der Treppe unter handabgebeiztem Bauernschrank zu liegen gekommen sein. Dirigierte danach jedenfalls trotz Kälte die Beladung des Miet-Lkws von einem Sessel aus, den er sich auf die Straße gestellt hatte. Nach sechs Stunden alles verstaut und endlich Ruhe. Und dann klickte es in meinem Kopf: Das UN- Ultimatum ist ja längst abgelaufen. Wenn die Priske-Klotzens für ihren popeligen Umzug schon so lange brauchen, wie sollen die Irakis dann bis Mittwoch früh sechs Uhr MEZ mit Kind und Kegel aus Kuwait ausgezogen sein. Christel Ehlert-Weber