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Hüftwippend in die 90er Jahre

Die Schwimm-Weltmeisterschaft im westaustralischen Perth brachte es an den Tag: neue Vermarktungskonzepte und stilistische Innovationen/ Die Zukunft gehört den Individualisten  ■ Von Martin Krauß

Berlin (taz) — Gut geplant hatten sie es ja, die Funktionäre des Weltschwimmverbandes FINA. Weit und breit kein Wimbledon-Turnier und keine Fußball-WM, die einer großzügigen Berichterstattung über das Schwimmen im Wege stehen könnten. Und damit gar nichts schiefgeht, wurde für die Vermarktung dieser WM Ion Tiriac gewonnen. Der erwirtschaftete zwar ein Defizit von umgerechnet 1,83 Millionen D-Mark, aber eine gute WM wurde es trotzdem.

Bisher erschienen die Schwimmer als unfreiwillige Amateure, die sehr darunter leiden, daß sie nur einmal im Jahr ins Fernsehen kommen und sich auch dann niemand so recht für sie interessiert. Und so tüfteln sie an neuen Konzepten, die den Schwimmsport attraktiver machen sollen: Preisgelder fordern die Athleten. Erstens für sich und zweitens aus der Erkenntnis, daß Wettkämpfe auch für die Öffentlichkeit bedeutsamer werden, wenn es um viel Geld geht. Die Superstars der Szene, wie der Weltmeister über 100-Meter- Freistil, Matt Biondi (USA), und unser aller Michael Groß fordern das schon lange.

Groß, der in Perth seine letzten Titelkämpfe bestritt, wird im März einen solchen Wettkampf Tiriacscher Prägung selbst organisieren. Dann gibts Preisgelder und ein mediengerechtes Wettkampfprogramm. Dort werden Sportler vertreten sein, die ihr Geld bisher aus Werbe- oder Fernseheinnahmen bestreiten — der Sportler als Kleinunternehmer.

Werden neue Wege beschritten, gibts auch Verlierer. So zum Beispiel bei dieser WM Nils Rudolph. Der 25jährige Sprinter aus Rostock — mit niedersächsischem Privatsponsor — wurde aus disziplinarischen Gründen, die offiziell Hexenschuß heißen (nur von deutschen Ärzten zu behandeln), urplötzlich ins Flugzeug nach Deutschland gesetzt.

Weltmeisterschaften sind immer verschärfte Forschungsobjekte für die Fachwelt. Da gab es „New Kids On The Block“, wie der unsägliche Thomas Wark (ZDF) mehrmals täglich feststellte oder „breite Schultern und tiefe Stimmen“, wie Jörg Wontorra von der ARD behauptete.

Zunächst — trotz des Geschreis über „postanabole Zeiten“ — ist festzuhalten, daß es einige, vorher nicht für möglich gehaltene, Weltrekorde gab. „Ein großer Aufbruch im Schwimmen findet statt“, sagte der 400- und 1.500-Meter-Weltmeister Jörg Hoffmann. Sein Weltrekord über die 1.500 von 14:50,36 Minuten werde nicht lange halten. „Solche Zeiten wird es öfter geben“, prognostizierte der sonst so wortkarge Schüler aus Potsdam.

Seinen Weltrekord verdankt er überwiegend neuen Trainingsmethoden, die darin bestehen, eher ganzheitlich und sehr intensiv, aber dafür weniger Schwimmkilometer runterspulend, zu trainieren. Und so ist es auch kein Wunder, daß er sich weniger als Nachfolger des legendären Wladimir Salnikow aus der UdSSR begreift, dessen acht Jahre alte Bestzeit er kassierte, sondern eher als Vertreter einer neuen Schwimmgeneration. Salnikow nämlich hatte die „ungeheuer zeitintensive Art zu trainieren“, wie es ein Trainer formulierte. Der Potsdamer Hoffmann hatte Erfolg, sein rausgeschmissener Kollege Rudolph aus Rostock hatte Pech. Dessen Trainingsmethoden, die sich für ihn als 50-Meter-Sprinter sehr stark von denen der anderen Ausdauerschwimmer unterscheiden, stießen bei den Bundestrainern auf starkes Unverständnis.

„Richtiger“ trainieren heißt auch: individuell zugeschnittener. Auffallend war zum Beispiel das Auseinanderfallen von Männer- und Frauenschwimmtechnik. Was Reporter gerne als „schlechten Stil“ abqualifizierten, nämlich eine vor allem beim Frauen-Kraul über die langen Strecken zu beobachtende Technik, die sich durch Wippen in der Hüfte und das fast gestreckte Nachvornebringen der Arme auszeichnet, ist eine Innovation. Bisher fast nur von der US-Schwimmerin Janet Evans betrieben, in Perth von allen Medaillengewinnerinnen angewandt, bedeutet diese Technik das Erschließen von gleich zwei neuen Antriebsquellen fürs Schwimmen: Die „wippende Hüfte“ besorgt eine schlangenähnliche Vorwärtsbewegung, und der mit voller Kraft seitlich vom Körper aus dem Wasser geschleuderte Arm läßt diesen quasi als Propeller — quer zur Schwimmrichtung — wirken.

Solche Technikentwicklungen hängen auch zusammen mit den gewandelten Trainingsmethoden. „Schön“ durchs Wasser gleiten, paßt für stundenlanges Training, technisch so komplex schwimmen, paßt für kurze und sehr intensive Einheiten.

Und dies alles, so auch ein Fazit dieser Schwimm-WM, wird nicht mehr so sehr von nationalen Sportsystemen vermittelt, sondern von einzelnen Sportlern, die sich ihr Umfeld selbst organisieren. Die „große Länderbreite“ (Kristin Otto), die erstmals Weltmeister aus Surinam und Spanien auftreten ließ, ist auch ein Ausdruck des Schwimmsports der 90er Jahre.

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