Reden am Vorabend

■ Die Bundestagsdebatte zum drohenden Golfkrieg

Vielleicht ist es nur noch eine Frage von Stunden, und wir werden auf das Jämmerlichste von der Vorstellungslosigkeit unserer Begriffe ereilt. Mit welcher Verzweiflung werden wir vielleicht in ein paar Tagen auf die Reden am Vorabend zurückblicken, wie fern werden sie uns vorkommen? Wie nostalgisch werden wir auf die Begriffe der Angst im Frieden zurückblicken? Wie harmlos werden uns die Worte Katastrophe, Golfkrieg, nuklearer Winter, Massenvernichtung vorkommen, wenn erst einmal der reale zeitgemäße Inhalt aus ihnen entfesselt wurde. Welchen Sinn hat, mit anderen Worten, eine Bundestagsdebatte einen Tag vor dem Ablauf des Ultimatums? Ist es nicht eine vorweggenommene Kondolenz von Politikern zum Ende der Politik? Eine Veranstaltung also, bei der alle Hinterbliebenen sich um Würde und dunkle Krawatten bemühen sollen. „Der Krieg mit Massenvernichtungsmitteln ist nicht mehr die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“, sagte Graf Lambsdorff zurecht. Aber die Konsequenz wäre dann Politik mit allen Mitteln gegen den Krieg mit Massenvernichtungsmitteln. Es kann kein dramaturgischer Zufall sein, daß die gestrige Bundestagsdebatte zu einem Zeitpunkt geführt wurde, zu dem die Frage nach der Politik schon überholt ist. Diese Terminierung ist symbolisch für die Nicht- Existenz einer deutschen Friedenspolitik, die Kohl als „Schulterschluß mit unseren europäischen Partnern“ charakterisierte.

Aber dennoch kann man die deutsche Politik nicht mit ihrer eigenen Bedeutungslosigkeit entlassen. Auch jetzt noch, am Vorabend, ist es moralisch unerträglich, wenn die Frage des Friedens dem einsamen Ratschluß Saddam Husseins oder der Automatik des Ultimatums überlassen wird. Politik muß auch unter Umständen auf der Basis von „als ob“ gemacht werden. Wie sähe der deutsche Beitrag aus, wenn es dieses „als ob“ gäbe, wenn sich der Krieg abbiegen ließe. Welche Vision für den Frieden am Golf gibt es denn? Welche Maßnahmen bietet Deutschland an, Rüstungen abzubauen, Waffenexporte zu verhindern? Wieviel Geld ist unserem Lande der Frieden wert? Welches Entwicklungskonzept würde unser Land für die Golfregion unterstützen? Willy Brandt hat diese Frage angemahnt. Mehr auch nicht. Und das ist zu wenig. Wenn das alles ist, dann kann man mit Karl Kraus sagen, beim Weltuntergang will ich privatisieren. Die Dinge sind zu ernst, als daß man sie mit Anklagen, Apellen und Warnungen beschwätzt. KLaus Hartung