Geschützte Geschlechtsteile

Die deutsche Jugend wird geschützt. Natürlich nicht vor Arbeitslosigkeit und Drogen, mit solchem Kleinkram gibt sich keine deutsche Behörde ab, nein, die deutsche Jugend wird vor dem sittlichen und moralischen Verfall geschützt. Dafür sorgt die „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften“. Für die angejahrten Herren Prüfer ist Sex ein notwendiges Übel, und Gewalt darf es zwar in der „Tagesschau“, nicht aber in Filmen und Büchern geben. Die BPS setzt Filme und Bücher ebenso auf ihren Index wie Computerspiele, Comics, Schallplatten, Schallplattenhüllen und Compact Discs (hier haben „Die Ärzte“ die Ehre, die Liste anzuführen).

Ausgerechnet das Bundesverfassungsgericht verpaßte den deutschen Sittenwächtern jetzt einen schweren Schuß vor den Bug. Die Einstufung des Romans Josefine Mutzenbacher als jugendgefährdende Schrift muß nach einem Beschluß des BVG nochmals geprüft werden. Die seit 1982 geltende Indizierung durch die BPS wurde auf Antrag des Verlages für verfassungswidrig erklärt. Zugleich beanstandete der Erste Senat die personelle Besetzung der Bundesprüfstelle. Nach dem BVG-Beschluß kann auch ein pornographischer Roman Kunst im Sinne des Grundgesetzes sein und damit unter dem Schutz der grundrechtlich garantierten Kunstfreiheit stehen. Im Falle der Josefine Mutzenbacher wäre es, so das BVG, Aufgabe der Bundesprüfstelle gewesen, sich „Gewißheit darüber zu verschaffen, welche schädigenden Einflüsse das Werk trotz sich wandelnder gesellschaftlicher Akzeptanz“ auf Kinder und Jugendliche haben kann. Je mehr pornographische Darstellungen „künstlerisch gestaltet und in die Gesamtkonzeption des Kunstwerks eingebettet sind“, desto eher habe die Kunstfreiheit Vorrang vor den Belangen des Jugendschutzes. Na bravo!

In Brasilien hingegen werden die Zügel straffer angezogen. Verschärfte Sittenregeln gelten in diesem Jahr für die Sambatänzer des Karnevals in Rio. Der Auftritt einer splitterfasernackten Schönheit als „Aphrodite im Tempel der Liebe“ auf einem Prunkwagen des Jahres 1989 hatte die Karnevalsliga zunächst zum Verbot der „völligen Blöße“ veranlaßt. Viele der rund 50.000 Sambatänzer hatten sich daraufhin im vorigen Jahr auf eine Dekoration ihres Geschlechts mit Federn oder Farbe beschränkt. Damit ist in diesem Jahr auch Schluß. Der prüde Präsident der Sambaschulen untersagte die geschmückten und angemalten Geschlechtsteile. Karl Wegmann