Sanktionen sind in Bonn kein Thema

■ Bundesregierung und SPD einig in verbaler Empörung

In der öffentlich geäußerten Abscheu und Empörung über das militärische Eingreifen der Sowjetunion ist sich die Bundesregierung mit der SPD-Opposition einig. Doch mehr zu tun, als verbal für das Selbstbestimmungsrecht der Litauer einzutreten und die Verletzung der KSZE-Deklarationen zu verurteilen, verbietet die eigene Interessenlage. Nicht von ungefähr kommt der Hinweis von Regierungssprecher Vogel, es erweise sich nun, wie richtig es war, den Prozeß der deutschen Einigung „schnell und zügig über die Bühne gebracht“ zu haben.

Das knüpft an die im vergangenen Jahr mehrfach hinter vorgehaltener Hand geäußerte Sorge an, die Litauer sollten sich mit ihrem ungestümen Willen zur Selbständigkeit zurückhalten, weil sonst die deutsche Einheit gefährdet werde. In den Äußerungen von CSU-Generalsekretär Huber bis Außenminister Genscher (FDP), die Bundesregierung habe keinen Zweifel an der noch ausstehenden Ratifizierung des Zwei-plus-vier-Vertrages über die volle Souveränität der BRD, schwingt deshalb genau diese Sorge mit. Sanktionen gegen die UdSSR sind deswegen kein Thema. Kanzler Kohls Hinweis in der Debatte des Bundestags, daß sowjetische Außenministerium habe dem deutschen Botschafter versichert, der Befehl für das gewaltsame Eingreifen sei nicht von ihm und nicht von der Moskauer Zentralregierung gefällt worden, klingt deshalb fast erleichtert — geeignet vor allem, die eigene Zurückhaltung zu rechtfertigen.

Die SPD liegt auf der gleichen Welle. Willy Brandt versicherte ausdrücklich, bei der Bewertung der „tief deprimierenden Vorgänge“ stimme die SPD mit der Bundesregierung voll überein. Der SPD-Vorsitzende Vogel meinte, es gebe keinen Beweis, daß Gorbatschow sein eigenes Friedenswerk in Frage stellen werde. Deshalb dürfe auch die humanitäre Hilfe nicht eingestellt werden.

Wie doppelbödig die Sozialdemokraten argumentieren, brachte Vogel auf den Punkt. Nach einem Appell an das Selbstbestimmungsrecht folgte die Anmerkung: „Natürlich kann dieses Recht nicht absolut gesetzt und ohne Rücksicht auf die jeweiligen Umstände und Folgen um jeden Preis durchgesetzt werden“ — im Klartext: Die Litauer sind selbst schuld. Die deutschen Interessen hatte zuvor bereits Brandt artikuliert: „Auf wie sicherem Grund steht das, was im hinter uns liegenden Jahr mit der Sowjetunion vereinbart wurde?“ Die europäische Politik müsse sich illusionsfrei auf einen fortdauernden Prozeß des Wandels in der Sowjetunion einstellen, sagte Brandt — und ließ offen, ob dies ein positiver Prozeß sein werde. Gerd Nowakowski, Bonn