Zero: Bildstörung

■ Mein kleines Vorkriegs-Tagebuch: Letzte Folge

15. Januar

Es ist wie mit Gebrauchsanweisungen. Man versteht sie erst richtig, wenn man das Ding praktisch ausprobiert hat. Besonders hilfreich können im Vorkriegsfall zum Beispiel sogenannte Explosionszeichnungen sein. Das sind graphische Arbeiten, die sich darum bemühen, dem Zuschauer das Gesamtdingverständnis über eine Extrapolation von Einzelteilen näherzubringen.

So wissen wir jetzt, daß ein militanter amerikanischer Repräsentant des Staatssouveränitätsanliegens sich mit 40 Kilo Standardausrüstung durch die Wüste kämpfen wird. Diese setzt sich sich zusammen aus:

1.Helm aus Hartkunststoff mit Stoffbezug;

2.hellgrüner/hellbrauner Wüstentarnanzug;

3.M-16-A2-Gewehr, die Standardwaffe der US-Armee, seit 1973 im Einsatz (auch im Vietnamkrieg);

4.Munitionstasche;

5.Rucksack aus Segeltuch für einmal Wäschewechsel, ein T-Shirt, Persönliches;

6.Wasserflasche;

7.Gasmaske;

8.Marschverpflegung: Toastbrot, Dosenfleisch, Kekse.

Soviel zum kleinsten Infanteriesegment, dem erdkämpfenden Korpuskel, oder, wie mein Vater ihn immer noch nennt: dem »Schützen Arsch«. Dieser wird auf seiten der »internationalen Streitkräfte« mit regulären 699.130 und auf irakischer Seite mit 990.000 Soldaten plus 850.000 Volksmilizionären multipliziert. So wissen wir also, daß 2 Millionen 539tausend 130 Einzelkörper bereitstehen, um einander auf Befehl mannschaftsmäßig umzubringen. Darüber hinaus wissen wir, daß die UN-beauftragten Streitkräfte 5.068 Panzer und 1.789 Flugzeuge und die Irakis 5.500 Panzer und mehr als 600 Flugzeuge besitzen. Wir wissen auch, daß die irakischen Streitkräfte die Ölfelder in Kuwait vermint haben. Und da wir uns für die ökologischen Folgen des Krieges interessieren, wissen wir auch, daß diese Ölfelder mindestens neun Monate brennen und die Sonne verdunkeln können. Auch wissen wir um Temperaturstürze, Ernstausfälle, vergrößerte Ozonlöcher infolge solch kriegsbedingten Fegefeuers.

Das alles und noch viel mehr wissen wir. Darüber hinaus haben wir viel gesehen. Wir haben fast alles gesehen. Wir haben die Raketen gesehen, die Panzer, die Lazarettschiffe, die Flugzeugträger, die Wüste, die irakischen Kindersoldaten, den Sandsturm, die Feldküche, den Satan, die Frontgräben, die Generäle, die mobilen Eingreifer, die Daheimgebliebenen, die schwitzfreien T-Shirts usw. usf. Früher haben wir schon Kriege gesehen: den Vietnamkrieg, den Falklandkrieg, Guerillakrieg, Stammeskriege, Kolonialkriege... Und wir haben Katastrophen gesehen. Brennende Ölquellen, explodierende Atomkraftwerke, Flugzeugabstürze... Wir haben Tote und Halbtote gesehen.

Und wenn der Golfkrieg sich jetzt tatsächlich ereignet, welche bewegten Bilder werden sie uns dann zeigen? Werden wir dann sagen: Schnee von gestern, die Bilder kennen wir doch längst. Das hatten wir doch schon!

Oder noch anders: Wenn es keinen Krieg gibt? Dann, weil alle Bilder schon verbraucht sind. Der Krieg wird nicht mehr nötig sein. Weil wir Wisser und Schauer ihn schon hinter uns haben. Der virtuelle hat den realen Krieg überflüssig gemacht.

Ein Sieg der Medien, so oder so. Christel Ehlert-Weber