Folgen der Operationswut

■ „Die amputierte Frau“, NDR 3, 20.15 Uhr

Dreharbeiten in der Praxis eines Frauenarztes: Langsam nähert sich die Kamera einem gynäkologischen Untersuchungsstuhl, unerbittlich umkreist sie jenes heikle Gerät, das mit seinen gespreizten Beinhaltern so augenfällig das Machtverhältnis zwischen Arzt und Patientin widerspiegelt. Schon der Anfang des Filmes weckt bei der Betrachterin mulmige Gefühle — am Ende gipfeln sie in nackter Empörung. Denn was die Autorinnen Karin Richter und Irene Stratenwerth hier mit kühler Distanz dokumentieren, ist ein medizinischer Skandal ungeheuren Ausmaßes, dessen Tabuisierung bis tief in die Köpfe von Millionen betroffener Frauen reicht. Ohne zwingende Indikation wird allein in der Bundesrepublik jährlich Zigtausenden von Frauen die Gebärmutter entfernt — eine Verstümmelung von Körper und Seele, über die bis heute Stillschweigen herrscht.

Die dürren Antworten (oder gar Aussageverweigerungen) der befragten Mediziner lassen vermuten, daß die „Täter“ vielfach selbst nichts Genaues über die weitreichenden Folgen ihrer Operationswut wissen: Sie haben gelernt, das Messer anzusetzen — nicht aber, im Gespräch mit ihren Patientinnen den Zusammenhang von Körper und Seele herzustellen. So war auch Ingrid P. die Entfernung der Gebärmutter (Hysterektomie) von ihrem Frauenarzt als problemloser Routineeingriff geschildert worden, zu dem er ihr wegen anhaltender Menstruationsbeschwerden geraten hatte. Doch der Schnitt in die Bauchdecke bedeutete für Ingrid P. ein Schnitt in ihre Sexualität. Es kostete die selbstbewußte Frau einige Überwindungen, um ihrem Arzt schließlich anzuvertrauen, daß sie keinen Orgasmus mehr erleben konnte. Seine Antwort: „Sie sind nun mal amputiert, letzten Endes behindert, damit müssen Sie sich abfinden.“ Es gehört zur besonderen Leistung der Filmemacherinnen, Frauen ausfindig und in Bild und Ton festgehalten zu haben, die vor der Kamera freimütig über ihre körperlichen und psychischen Leiden als Folge der sogenannten „Totaloperation“ berichten. Was sie erzählen, ist medizinisch längst belegt: Schmerzen, Harninkontinenz, Verdauungsbeschwerden, Blutungen, Störungen im Hormonhaushalt und frühzeitiger Eintritt der Wechseljahre gehören zu den möglichen Folgen der Hysterektomie — dazu kommen die Verletzungen des Weiblichkeitsbewußtseins. „Ich fühle mich leer, als hätte ich ein wertvolles Schmuckstück verloren“, bekennt eine der Frauen, und eine andere spürt in sich nur noch „ein großes Loch“.

Von den 150.000 in der Bundesrepublik jährlich „totaloperierten“ Frauen, so ermittelte das Münchner Forschungsinstitut Infratest im Auftrag des NDR, wurden nur neun Prozent die Gebärmutter wegen Krebs oder Krebsverdacht entfernt. Doch in 49 Prozent der Fälle erfolgt die Hysterektomie wegen gutartiger Geschwülste, sogenannter Myome, die sich in den Wechseljahren oft zurückbilden und für die es alternative Operationstechniken gibt. Laut Schätzung einer Mitarbeiterin der „Pro Familia“ könnten 50 bis 70 Prozent der Gebärmutteramputationen vermieden werden. Gabi Haas