Der Adlershofer Sozialkomplex

Anmerkungen zu Bodo Fürneisens DFF-Fernsehfilm „Der Rest, der bleibt“, heute abend, 20.15 Uhr, ARD  ■ Von Dietmar Hochmuth

Nach dem Abschalten des DFF 1 und der folgsamen Tilgung aller Spuren des ehemaligen DDR-Fernsehens auch in der Neuen Länderkette ist nun die Stunde des bundesweiten Sicheinbringens gekommen. Begonnen hatte es natürlich mit einer Volksmusikgala am Abend des Abschaltens Anfang Dezember, moderiert von den traditionellen Adlershofer Frohsinnseinpeitschern und Nationalpreisträgern Hauff/Henkler, die sich genauso natürlich und endlich mit Heino wiedervereinigten, worauf die Ostberliner Fernsehzeitung 'FF Dabei‘ dem bislang verdummten und kurzgehaltenen Leser prompt berichtet, wie dessen Frau sich für ihn schlankhungert. Mit derselben Sendung (Musikanten kommen) hatte Harald Juhnke einst, lange vor Helmut Kohl, Cottbus erobert.

Jetzt aber kommt es schöngeistiger, ambitionierter, fließen sogenannte fernsehdramatische Produktionen aus den Restbeständen der Adlershofer Eigenfertigung deutschlandweit in die ARD-Programmgestaltung ein (monatlich etwa ein Sendeplatz). Start heute abend mit Der Rest, der bleibt, einem Fernsehspiel nicht aus den neuen Bundesländern, sondern noch aus der alten DDR. Gewissermaßen schon ein Museumsexponat und auch als solches zu empfehlen, vermittelt es doch einen bündigen Begriff von Fernsehdramatik, wie sie jahrelang in Adlershof gepflegt und gepeppelt wurde.

Nun könnte man sich unter diesem Titel sonst etwas vorstellen, geradezu alt-neue Aufmüpfigkeiten — aber weit gefehlt: Es geht wirklich nur um sehr wenig, ja um fast nichts: den hundertsten Aufguß einer Annie- Girardot-Story (sie liebt einen über zwanzig Jahre Jüngeren...), und das alles in der DDR, wo so etwas und auch solche Filme ja bisher verboten waren. Das ganze wird zudem am Produktionsdrama einer als mittelmäßig in den Raum gestellten Chansonette abgehandelt, die in einem Jugendklub singt (beseelte Kleindarsteller schauen ihr trotzdem andächtig tief in den Mund). Da steigt der Pianist plötzlich aus — mit der fatalen Erkenntnis: „Was wir machen, ist Mittelmaß.“ Tränen. Die Sängerin bleibt allein zurück, ein junger Mann von der Klubleitung zahlt sie aus. Eine Handtasche fällt. Wangen werden getrocknet. Er vergißt aber (oh, Gott!) die Steuerbescheinigung, reicht sie einen Tag später an der Wohnungstür nach, und hier nimmt das Schicksal (nach einer Tasse Tee und der Warnung: „Das mit uns wird nichts...“) seinen natürlich überhaupt nicht absehbaren Lauf.

Ihre Ehe mit der diensthabenden Mischung aus DDR-Industriekapitän und -Spießer (kinderlos, Abtreibung einst wegen Karriere: „Ich muß morgen nach Leuna...“) geht kaputt, weil sie es schon lange ist. Neues Glück in alter Bruchbude, mit der Romantik unfreiwilliger Bescheidenheit und Kohlenklau (der Adlershofer Sozialkomplex realisiert sich auch in dem häufigen Gebrauch von Geräuschkulissen — etwa einem rasselnden Treppenlichtautomaten, wie es ihn nur noch in Filmen dieser Art gibt, oder realistischen Straßenbahnen, die wenigstens im Off durchs knochentrockene Atelier rammeln). Dann Arbeit in einer Bibliothek (sie), er macht abends das Abi nach, will ja noch Kulturwissenschaften studieren... Aber auch dieses unkonventionelle Glück der traditionsreichen DDR-Kuttenmentalität hält nicht lange, zerreibt sich bis zur erwartet verzweifelten Autofahrt — ja, woran eigentlich? An der Sendezeit, die irgendwann, natürlich viel zu langsam, um ist.

Das alles wäre gar nicht so ungenießbar, gäbe es sich nicht als bildungsbürgertümlich anspruchsvolle Kunst, die hier ziemlich militant im Grunde gegen sich selbst, gegen didaktischen Kitsch, antritt. Bei der Pressevorführung kam auch gleich selbstverteidigender Frust auf: Früher hatte man Honeckers Medienobristen Joachim Herrmann vor der Nase, heute ist ein Bayer der Buhmann, na, und vor allem die Privaten: Man wird nie wieder sooooo künstlerisch arbeiten können wie im Rest, der bleibt.

Was an diesem Film allerdings sympathisch ist und einem dann doch nicht den berühmten Rest gibt: Er wurde, Gott sei Dank, kaum im nachhinein gemästet mit all den Reizfüllseln, die man sich bisher — ob nun gewollt oder gemußt — verkniffen hat, und doch krankt Der Rest, der bleibt an einer merkwürdig apolitischen, um nicht zu sagen: mutlosen Diktion, wie sie dem DDR-Fernsehen in den letzten Jahren geradezu genetisch anhaftete: Der Film spielt so abgehoben in dem, was da politisch keusch als das Land, das nicht blieb, definiert wird, daß es in den letzten zwanzig Jahren und nirgends sein kann.

Zwar beziehen sich die Macher großzügig auf Anatole France, der Liebe als wildeste Leidenschaft beschrieb, die am meisten wider die soziale Ordnung verstoße — das aber meinte wahrscheinlich einen anderen Film, denn hier ist der Fabelansatz noch immer ein behaupteter Stellvertreterkonflikt oder Konfliktersatz mit bestenfalls der Fußnote Spießerkritik, und dieses Verständnis scheint bis zur Stunde nicht korrigiert.

In der Adlershofer Fernsehgeschichte gab es den Problemfilm — ein seltsames Genre, das in den letzten Jahren immer mehr in den Bereich Krimi und bebildeter Gerichtsbericht abgedrängt wurde. Auch dieser Film sollte einst nur unter der Tarnkappe Der Staatsanwalt hat das Wort mit kriminalisiertem Ausgang zugelassen werden.

Nun ist bekanntlich alles anders gekommen, aber im Ergebnis nicht viel besser: Ein Problemfilm wurde in einen luftleeren Raum hoher Kunst projiziert und dürfte am Ende, nur scheinbar befreit vom erhobenen Zeigefinger, auch das geschmähte Minimum Unterhaltung verfehlen, trotz Werbetext: „Sie fliehen in die Wärme des anderen Köpers“, und der Ausführung im roten Gegenlicht einer Heizsonne — dazu unentwegt Moustaki im Off, denn sie ist ja Chansonarbeiterin. Und wirklich, da bleibt ein Rest: Das ist nicht nur das Extrakt von DDR-Fernsehdramatik wie aus einer Konserve mit erstaunlicher Haltbarkeitsdauer, sondern zugleich ein Lehrstück in Sachen thematisierter Dramaturgie unter der Rubrik „Zusammenleben“, wie übrigens der Film sogar mal heißen sollte und entsprechend nichts ausließ, auch eine coming-out-Linie nicht.

Geschrieben und inszeniert hat dieses Stück DDR-TV-Geschichte Bodo Fürneisen (Jahrgang (1950), der in den letzten Jahren absolut erfolgreichste Newcomer unter den Adlershofer Regisseuren. In Zeiten, da andere über Gebühr lange zu Vernunft (Schweigen und Weggucken) herausgefordert waren, brachte er immerhin das bemerkens- und beneidenswerte Geschick auf, pausenlos jährlich Fernsehspiele und -filme, sogar einen DEFA-Kinofilm (über die Einführung der neuen Volksarmee-Uniform um 1956) zu drehen. Bodo Fürneisen war und ist eigentlich das fernsehdramatische Sonnenkind des DDR-TV. Geradezu rührend in diesem Zusammenhang lesen sich in seiner Filmografie die durch Adlershof sorgfältig nachgetragenen, inzwischen so bedeutungsvollen ARD- und ZDF-Ausstrahlungstermine, Festivalreisen einiger seiner bisherigen Produktionen. Nun hat er es mit Der Rest, der bleibt bundesweit auf die Mittwochsschiene geschafft — allerdings um den Preis, daß dieser Film, der seit August fertig ist, viel zu spät kommt. Und wer das tut, den... naja: Auf diese Einschaltquoten darf man gespannt sein.