Von der Tankstelle zur Solarkolonie

Für solaren Wasserstoff als „Energieträger der Zukunft“ wirbt eine Ausstellung im Berliner Umweltbundesamt/ Sahara und arabische Wüste sollen die europäische Energiezukunft sichern/ Die dezentrale Energieversorgung spielt keine Rolle  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

330.000 Menschen haben sie schon gesehen. Eine Kopie zieht als Exportschlager durch die USA. „Solarer Wasserstoff — Energieträger der Zukunft“ heißt das Ausstellungsobjekt. Mit Sonnenenergie soll aus Wasser Wasserstoff und Sauerstoff gewonnen werden. Die Hoffnung: Der Wasserstoff als Energieträger könnte irgendwann Kohle, Öl und Gas ablösen. Er ist unschädlich und läßt sich als Energieträger gut lagern.

Konzipiert im sonnenreichen Exportmusterländle Baden-Würtemberg sollen die Bildtafeln und technischen Kabinettstücke noch bis zum 22. Februar 1991 im Berliner Umweltbundesamt für eine solche Energiezukunft werben.

Werben wofür? So recht können sich die Ausstellungsmacher nicht entscheiden. Die technischen Ausstellungsstücke ranken sich häufig genug nur um die Nutzungstechnologie, der solare Aspekt tritt in den Hintergrund. Wo doch einmal die Solarenergie im Mittelpunkt steht, hat die Ausstellung einen fahlen Beigeschmack: Wasserstoff als Träger unserer zukünftigen Energieversorgung, so die Botschaft, muß aus den (ökonomisch gesehen) Solarkolonien der Zukunft kommen. Zwei Drittel unseres Energiebedarfs werden wir auch künftig importieren, so Carl-Jochen Winter von der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrttechnik (DLR). Im Ausstellungskatalog liest sich das so: „Der industrielle Norden als Energiekäufer arbeitet mit dem solaren Süden als Energielieferant zusammen. Der Süden erhält mit solarem Wasserstoff ein Handelsgut, der Norden exportiert die zugehörige Technologie.“ Ein vertrautes Credo. Wir brauchen weiteres Wachstum, und der Herr erhalte unsere weltwirtschaftliche Arbeitsteilung.

Wo die Ausstellung nicht glitzerndes technisches Spielzeug präsentiert, wird das Bild einer Welt-Wasserstoff-Energiewirtschaft für die zukünftige Energieversorgung entworfen. Mit der großtechnischen Nutzung von Sonne, Wind und Wasserkraft wird die Speicherung der regenerativen Energie im Wasserstoff zur Notwendigkeit. Denn „die größten und für die solare Wasserstoffproduktion am besten geeigneten Wüstenflächen liegen in Nordafrika und Saudi-Arabien“. Für die Erzeugung eines Drittels der in der alten Bundesrepublik jährlich verbrauchten Energie würden 10.000 Quadratkilometer Sahara reichen, rechnet uns der Katalog vor. Das seien nur 0,1 Prozent der Wüste. Eine kleine Weltkarte verdeutlicht das Konzept weiter.

Unter dem Titel „Potentielle Standorte zur solaren Wasserstoffproduktion“ taucht Nordafrika mit 6.500 Millionnen Tonnen Steinkohleeinheiten (SKE) vor Arabien mit 3.300, Australien mit 1.750 und Indien mit 1.300 Millionen Tonnen SKE auf. Nordamerika folgt mit 600 Millionen Tonnen abgeschlagen. Europa kommt erst gar nicht vor. Zum Vergleich: Zur Zeit werden weltweit rund 10.000 Millionen Tonnen SKE Energie jährlich verbraucht, davon zwei Drittel in Nordamerika und Europa.

In Saudi-Arabien wird schon experimentiert. Für 50 Millionen Mark haben Bundesregierung, Baden- Würtemberg und Wüstenscheichs eine erste photovoltaische Wasserstoff-Erzeugungsanlage bei Riad gebaut. Weitere 50 Millionen sollen jetzt folgen. Mit jährlich 2.500 Kilowattstunden Sonneneinstrahlung pro Quadratmeter bietet die Wüste beste Einstrahlungsbedingungen. In Deutschland kommt man nur auf 1.000 Kilowattstunden.

Auch der Transport des Wasserstoffs wird schon geplant. Graphiken zeigen den Schiffstransport kanadischen Wasserstoffs nach Hamburg. Für den Transport des in Wasserkraftwerken erzeugten verflüssigten Wasserstoffs braucht es Spezialschiffe mit wärmeisolierenden Spezialbehältern. Wasserstoff wird erst bei -253 Grad Celsius flüssig. An der Planung dieser Schiffe arbeiten die Thyssen Nordseewerke.

Dezentrale Strukturen spielen bei den Überlegungen für diese solare Energiezukunft nur eine marginale Rolle. Zwar billigt der Katalog der Solarenergie ein langfristiges Potential von 70 Millionen SKE jährlich für die alte Bundesrepublik zu, doch während die Ingenieure aus dem Musterländle das Terrain für die Wasserstoffwirtschaft 2050 beackern, bleibt die verstärkte Einführung regenerativer Energieträger außen vor. Bezeichnenderweise steht gerade eine Solartechnologie, die mit hohen Wirkungsgraden und besonders guter dezentraler Nutzbarkeit für eine anderes Leitbild der Energieversorgung der Zukunft stehen könnte, noch relativ am Anfang der technischen Entwicklung: die Paraboloid-Sonnenkraftwerke.

Solarer Wasserstoff ist der „Titel“ für eine denkbare, aber noch relativ ferne Energiezukunft. Die Sonne scheint nicht 24 Stunden am Tag, aber Energie soll 24 Stunden am Tag nutzbar sein. Das verlangt unsere Bequemlichkeit und das verlangt die Wirtschaft. Wir brauchen also, um sie in die Energieversorgung einzupassen, ein Speichermedium. Der Wasserstoff bietet sich an: Er ist einfach zu erzeugen und ökologisch unbedenklich.

Vor dem Speichern aber muß das Energiesparen und dezentrale Erzeugen aus regenerativen Quellen stehen. Kann der solare Wasserstoff dort eine Rolle spielen? Dazu sagt die Ausstellung wenig. Heinrich von Lersner, Präsident des Umweltbundesamtes, hat die schiefe Optik bei der Ausstellungseröffnung unfreiwillig bloßgelegt. Berlins Energiezukunft 2037, so schwärmte er, könnte aus einer Wasserstoffpipeline in die Vereinigten Staaten von Afrika und Solardächern auf jedem Haus bestehen. Die Dächer sind unsere Aufgabe, doch die Ausstellung handelt von der Pipeline.