Denk Mal

■ Von der Pinnwand des taz-Korrespondenten

Hinter den Großmarkthallen der irischen Hauptstadt Dublin liegen zerfallene Häuserzeilen und Ruinengrundstücke. Auf einer eingezäunten Freifläche grasen inmitten der nördlichen Innenstadt ein paar Ziegen und Schafe. Ein paar Schritte weiter geht eine kurze, aber relativ breite Straße ab: die Green Street. Auf der rechten Seite liegt das alte Sonderstrafgericht, in dem heute vor allem Prozesse gegen Mitglieder der illegalen Irisch-Republikanischen Armee (IRA) stattfinden.

Direkt nebenan steht ein dreistöckiges, völlig verwahrlostes Gebäude — das ehemalige Schuldnergefängnis. Ende des 18. Jahrhunderts kostete hier der unfreiwillige Aufenthalt sieben Schillinge und sieben Pence pro Woche — für eine unmöblierte Einzelzelle.

Wer es etwas bequemer haben und auf Möbel nicht verzichten wollte, mußte ein Pfund, zwei Schillinge und neun Pence anlegen. Die bedauernswerten Insassen gerieten dadurch in einen Teufelskreis: Von ihren Gläubigern ins Gefängnis gebracht, mußten sie solange dort ausharren, bis sie ihre Schulden bezahlen konnten, während sie gleichzeitig wegen der „Unterkunftskosten“ im Knast immer tiefer in die roten Zahlen gerieten. Zwar traf es hauptsächlich die Dubliner Unterschicht, doch es gab Ausnahmen: Zu den Insassen gehörten ein Universitätsprofessor von der Dubliner Universität „Trinity College“, ein Steueranwalt sowie Arthur Wellesley, der später als Duke of Wellington in der Schlacht bei Waterloo Napoleon besiegte.

Das Gebäude steht jetzt schon seit Jahrzehnten leer. Über Wendeltreppen sind die einzelnen Flügel zu erreichen. Am Ende der langen Korridore befinden sich die „Waschräume“: ein Waschbecken und ein Scheuerbrett. Seit 1850 wird das Gebäude nicht mehr als Gefängnis genutzt. Seitdem waren dort ein Polizeirevier und später eine Herberge für Obdachlose untergebracht. Doch selbst den Obdachlosen konnte der Staat den erbärmlichen Zustand des Hauses nicht mehr länger zumuten. Inzwischen sind die Decken eingefallen, die Benutzung der Treppen ist lebensgefährlich und die Farbe ist von den feuchten Wänden abgeblättert. Der staatliche Verwalter schätzt, daß die Restaurierung mindestens 300.000 Pfund (über 800.000 Mark) kosten werde. Das Gebäude soll deshalb noch in diesem Frühjahr verkauft werden. Dann kommt es unter Denkmalschutz.

Mit dem Denkmalschutz ist das aber so eine Sache in Dublin, das 1991 als „Europäische Kulturstadt“ fungieren wird und sich für den erwarteten Touristenstrom bereits mächtig herausputzt. Kritiker nehmen das Kulturjahr zum Anlaß, die ungenügenden Maßnahmen der Stadt zur Erhaltung ihrer Architektur zu rügen. Bemängelt wird, daß es so gut wie keinen gesetzlichen Denkmalschutz gibt und daß immer noch hochwertige Bauwerke abgerissen werden. „Sicherlich hat keine europäische Stadt in den vergangenen Jahren mehr zur Zerstörung ihres Architekturgutes getan“, schrieb kürzlich die Londoner Zeitung 'Independent‘. Und nach Ansicht des irischen Popsängers Bob Geldof ist „die Zerstörung Dublins ein schrecklicher Barbarenakt, ausgeführt durch die Gierigen, die Korrupten, die Dummen, die Vulgären — aber vor allem durch die Gleichgültigen.“ Ralf Sotscheck