Memmingen: Aus Pein auf Freispruch verzichtet

■ Um sich die Berufungsverhandlung vor dem Landgericht zu ersparen, zahlte eine junge Frau Geldbuße

Berlin/Memmingen (taz) — Die „peinliche Ausfragerei“ vor einem Memminger Gericht wollte die junge Türkin auf keinen Fall noch einmal mitmachen. Deshalb bezahlte sie lieber eine Geldbuße von 500 DM, um der für heute angesetzten Berufungsverhandlung vor dem Memminger Landgericht zu entgehen. Vor knapp einem Jahr war die 33jährige in erster Instanz vom Vorwurf des illegalen Schwangerschaftsabbruchs freigesprochen worden. Obwohl nach Überzeugung ihres Rechtsanwalts gute Chancen für einen erneuten Freispruch bestanden hätten, entschloß sich die Frau einen Tag vor der Verhandlung zu dem ungewöhnlichen Schritt. Nach Paragraph 153a der Strafprozeßordnung kann sie sich mit der Geldbuße das Berufungsverfahren ersparen, das nun „wegen geringer Schuld“ eingestellt wird. Die Türkin gilt nicht als vorbestraft, wird aber in der umstrittenen bayerischen „Abtreibungskartei“ gespeichert. Und die Staatsanwaltschaft hat auf diese Weise einen weiteren der wenigen Memminger Freisprüche vom Tisch.

Die Staatsschnüffler hatten der 33jährigen zur Last gelegt, im November 84 in der Praxis des Frauenarztes Horst Theissen eine Schwangerschaft abgebrochen zu haben. Dabei versicherte die Frau, daß „zu diesem Zeitpunkt eine Schwangerschaft alles andere als sicher war“. Theissen hätte lediglich eine Ausschabung vorgenommen wegen ihrer wiederholt aufgetretenen Probleme mit der Regelblutung. Nicht im November, sondern einen Monat später, am 25.12.84, hätte sie dann in der Türkei einen legalen Abbruch vornehmen lassen. Zu diesem Zeitpunkt sei sie im zweiten Monat schwanger gewesen.

Doch das Amtsgericht wollte es genau wissen. Es setzte die Verhandlungen aus, ließ über drei Monate in der Türkei ermitteln und „im Zuge der internationalen Rechtshilfe“ den türkischen Arzt zu dem mehr als fünf Jahre zurückliegenden Schwangerschaftsabbruch vernehmen. Nach der Zeugenaussage des Arztes und eines medizinischen Sachverständigen mußte die junge Türkin dann freigesprochen werden. Die Staatsanwaltschaft in Memmingen zeigte sich jedoch hartnäckig und legte nach langem Zögern im letzten Moment Berufung ein.

„Ich will mich auf keinen Fall noch einmal der Atmospäre des Verfahrens aussetzen“, erklärte die Frau gegenüber ihrem Anwalt. Und der sagt, er müsse die Entscheidung akzeptieren. Bei der Hartnäckigkeit der Memminger Staatsanwaltschaft sei davon auszugehen, daß es — ähnlich wie im Fall der Magdalena Federlin — letztlich vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht dann doch wieder zu einer Aufhebung auch des zweiten Freispruchs komme. Und damit würde sich die Sache weitere zwei bis drei Jahre hinziehen. Klaus Wittmann/lu