: Fünf weitere Jahre Stammheim
Widersprüchliche Zeugenaussage führt zur Verurteilung von Hornstein wegen des Anschlags auf Dornier ■ Aus Stuttgart Edgar Neumann
„Der Tatanteil von Luitgard Hornstein konnte nicht genau geklärt werden“, lautet der Schlüsselsatz zum Urteil gegen Luitgard Hornstein. Mit dieser durchaus ernstgemeinten Feststellung löst der Vorsitzende Richter Berroth bei den rund 60 Prozeßbesuchern im Stammheimer Mehrzweckgebäude nur ein hilfloses Lachen aus. Dann schiebt Berroth einen Satz nach, der die ganze Haltlosigkeit seiner Urteilsbegründung offenlegt: Für das Gericht stehe fest, daß die Angeklagte durch eine „Aufgabenübernahme von Gewicht“ an dem Sprengstoffanschlag auf den Rüstungskonzern Dornier beteiligt gewesen sei.
Neun Jahre Freiheitsstrafe lautet das Urteil gegen Luitgard Hornstein. Vier Jahre Haftzeit, die die Verurteilte bereits in Stammheimer Untersuchungshaft verbüßt hat, werden auf das Strafmaß angerechnet. Den meisten Zuhörern steht der Schock über das Strafmaß noch ins Gesicht geschrieben, während Richter Berroth über eineinhalb Stunden hinweg scheinbar schlüssig darlegt, wie die Düsseldorfer Studentin in einer kämpfenden Einheit der RAF den Anschlag auf die Niederlassung des Luft- und Raumfahrtkonzerns am Bodensee mitgeplant und durchgeführt haben soll.
Allein, für die mit schwäbischer Präzision aufgereihte Chronologie der Ereignisse fehlt es an stichhaltigen Beweisen. Auch dafür hat Berroth, von dem man weiß, daß er im privaten Umfeld auch mal zur Selbstjustiz neigt, eine argumentative Stütze parat. Da sind zum einen rechtskräftige Urteile in früheren Verfahren und zum anderen das Revisionsurteil des Bundesgerichtshofs, wonach das angeklagte Sprengstoffverbrechen gegen das Unternehmen unmittelbar an die festgestellte RAF-Mitgliedschaft von Luitgard Hornstein gebunden sei.
Um aber nicht die ganze Verantwortung für den gefällten Urteilsspruch auf die höchstrichterliche Instanz abzuwälzen, legt der vierte Strafsenat unter dem Punkt „Neue Feststellungen zu Dornier“ der 27jährigen Angeklagten unter anderem zur Last, daß sie „sich für die verbrecherischen Aktionen der terroristischen RAF interessierte“ und entsprechendes Schriftmaterial gesammelt habe.
Zur Einleitung hatte es sich der Senatsvorsitzende auch nicht nehmen lassen, eine ausführliche Anschlagschronik der Republik zu verlesen, die bis ins Jahr 1972 zurückreichte, was eine Zuhörerin mit dem Zwischenruf kommentiert, „da war sie (die Angeklagte) acht Jahre alt.“
Der Umstand, daß Luitgard Hornstein zusammen mit Erik Prauss, der in einem vorangegangenen Verfahren wegen des Dornieranschlags zu sieben Jahren Haft verurteilt worden war, in den gleichen Häusern und Wohngemeinschaften lebte, gereicht in der Folge ebenso zur strafrechtlichen Würdigung wie die Tatsache, daß „beide Staat und Gesellschaft ablehnten“.
Schließlich kommt das Gericht nicht umhin, eine Zeugin, deren Aussagen sich wie ein roter Faden durch verschiedene vorangegangene Prozesse ziehen und die wegen ihrer Widersprüchlichkeit von der Verteidigung immer wieder angegriffen wurde, als absolut glaubwürdig darzustellen. Während die Zeugin vor Gericht, die Angeklagte zweifelsfrei wiedererkannt hatte, teilte sie einem Journalisten kurz nach ihrer Aussage mit, daß sie sich hinsichtlich der Identifizierung keinesfalls sicher sei.
Doch obwohl dem Gericht dieser Vorgang bekannt war, führte das nicht zu Zweifeln an der Glaubwürdigkeit der Aussage. Der Senat sah hierin vielmehr ein durchaus verständliches Anliegen der Frau, sich in der Öffentlichkeit nicht noch weiteren Fragen auszusetzen. So fehlt dann auch die Wertung des Gerichts zu den weiteren Aussagen der Zeugin, die um so detaillierter ausfielen, je weiter die betreffenden Sachverhalte zurücklagen. Keine gerichtliche Würdigung fanden auch die zum Teil gravierenden Verstöße im Zuge des Ermittlungsverfahrens.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen