Vom Pferdezüchter zum Koksmilliardär

■ Jorge Luis Ochoa, Nummer zwei des Kokain-Kartells von Medellin, stellte sich freiwillig PORTRAIT

Die Nummer zwei einer der finanzstärksten Verbrecherbanden der Welt ist hinter Schloß und Riegel. Am Dienstag abend stellte sich der 41jährige Jorge Luis Ochoa, nach Pablo Escobar mächtigster Mann des kolumbianischen Kokain-Kartells von Medellin den Justizbehörden seines Landes. Bis zu 30 Jahren Haft kann die Anklage fordern. Doch darf der Kokainboss mit einer erheblichen Verringerung seiner Strafe rechnen, falls er mit den Behörden zusammenarbeitet. Eine Überstellung an die US-Justiz ist ausgeschlossen. Im August des vergangenen Jahres hat der kolumbianische Staatspräsident César Gaviria dem terroristischen Druck der Kokainmafia nachgegeben und ein Gesetzesdekret erlassen, das Drogendealern den Prozeß und die Haft im eigenen Land zusichert, falls sie sich stellen und geständig sind.

Das Medellin- Kartell kontrolliert vermutlich 80 Prozent des weltweit gehandelten Kokains. Der jährliche Umsatz wird auf 50 Milliarden Dollar geschätzt. Allein zwei Milliarden Dollar schwer ist vermutlich der Ochoa-Clan. Die Familie Ochoa verweist auf einen Stammbaum, dessen Wurzeln bis 1616 zurückreicht, das Jahr, in dem emigrierte Basken Medellin gründeten, die reichste Stadt Kolumbiens, bekannt wegen seiner Orchideen, des Kokains und der Familie Ochoa. Oberhaupt des Clans ist der 67jährige Pferde- und Viehzüchter Don Fabio Ochoa. Im Geschäft mit dem weißen Gold hat aber schon längst sein Sohn Jorge Luis das Sagen, wegen seiner hundert Kilo Leibesfülle auch „der Dicke“ genannt, der sich ebenfalls der Zucht von Rassepferden widmet. Einer seiner beiden Brüder, Juan David, wird weiterhin steckbrieflich gesucht, der andere, Fabio, hat sich bereits vor einem Monat den Behörden gestellt.

Jorge Luis Ochoas kriminelle Laufbahn begann vermutlich in den USA. Im Juni 1977 zog er nach Miami und betrieb dort eine bescheidene Export-Import-Firma und verscherbelte schon bald im Auftrag eines Onkels in Medellin wöchentlich etwa einen Zentner Kokain. Doch kaum ein halbes Jahr später entging er nur knapp einer Verhaftung und verließ die Staaten Hals über Kopf.

Dann wurde es still um die Ochoas — bis 1981 die linksnationalistische Guerillatruppe M-19 auf dem Universitätscampus von Medellin Martha Nieves, eine Schwester von Jorge Luis entführte, möglicherweise, um Geld zu erpressen. Die Kokainbosse legten tatsächlich vier Millionen Dollar zusammen, aber nicht um die Tochter von Don Fabio freizukaufen, sondern um eine Terrorgruppe auf die Beine zu stellen. Die MAS („Muerte a los Secuestradores“ — „Tod den Entführern“) folterte und ermordete in kürzester Zeit zehn Guerilleros — und Martha Nieves wurde auf freien Fuß gesetzt.

Erst 1984 wurde Jorge Luis Ochoa das kolumbianische Pflaster zu heiß. Nach der Ermordung des Justizministers Lara Bonilla setzte er sich mit einem Kompagnon nach Madrid ab, stieg ins Immobiliengeschäft ein, wurde aber schon ein halbes Jahr später festgenommen. Zwar forderten die USA seine Auslieferung wegen Drogenhandels, doch überstellten ihn die Spanier an die Kolumbianer, die ihn wegen Schmuggels von Kampfstieren suchten. Kaum in seiner Heimat angekommen, wurde Ochoa in die Freiheit entlassen.

Im November 1987 wurde Jorge Luis Ochoa bei einer Verkehrskontrolle festgenommen und nach Bogotá überführt. Doch schon nach fünf Wochen verließ er La Picota, das sicherste Gefängnis des Landes, durch das Hauptportal in Begleitung des Gefängnisdirektors — und verschwand. Der US-Justizminister Ed Meese tobte und sprach von einem „schockierenden Schlag für den internationalen Gesetzesvollzug“ und ließ 500.000 Dollar für die Festnahme des Kokainbarons aussetzen, das höchste Kopfgeld in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Thomas Schmid