„Ich habe keine Lust, für diese Leute zu sterben“

■ Im Reich Saddam Husseins haben Oppositionelle keine Chance zur politischen Organisation/ Es gibt sie aber, die Kritik am Regime in Bagdad

„Hier können wir offen reden, hier gibt es keine Wanzen!“ Mein Freund, der Bagdader Bazarhändler, hat mich in einen Nebenraum seines Geschäfts geführt. Ich kenne Karim seit drei Monaten. An etlichen Nachmittagen haben wir uns beim Tee über Gott und die Welt unterhalten und uns dabei einem Thema genähert, das Iraker im allgemeinen meiden: der Politik. Sehr vorsichtig deutete Karim dabei stets an, was er von der irakischen Regierung hält. Heute, im stillen Nebenzimmer, wird er zum ersten mal deutlich: „Saddam ist ein brutaler Diktator, und der Einmarsch in Kuwait war ein Verbrechen. Für das irakische Volk bedeutet Kuwait nichts, von dem neuen Reichtum wird sowieso nur das Militär profitieren.“

Karim ist knapp 40 und seit zwanzig Jahren Händler. Früher reiste er oft ins Ausland, besuchte Geschäftspartner und Freunde in Moskau, Warschau und Paris. Dann begann der Krieg zwischen Irak und Iran, und kein Iraker durfte das Land verlassen. Acht Jahre waren die Iraker Gefangene im eigenen Land.

Im Frühjahr 1990 wurden die Reisebestimmungen gelockert. Karim wollte mit seiner Familie nach Europa reisen, die Flugtickets hatte er schon, ausgestellt auf den 15.August nach Rom. Aber am 2.August marschierten irakische Truppen in Kuwait ein, die Grenzen wurden geschlossen, und Karim sitzt immer noch in Bagdad.

Die Lebensmittelpreise steigen wegen des Embargos unaufhörlich, und sein Geschäft geht schlecht. Karim klagt: „Wie soll ich Handel treiben, wenn alle Grenzen dicht sind?“ Aber dennoch beschwert er sich nicht öffentlich, wohlwissend, daß ihn das den Kopf kosten könnte. Selbst mit Freunden spricht Karim nicht über wirtschaftliche Probleme oder Politik, schließlich könnte auch der beste Freund für einen der sich gegenseitig kontrollierenden Geheimdienste arbeiten.

„Das, was ich dir jetzt erzähle, würde ich niemals zu einem Iraker sagen“, versichert mir Karim. „Ich glaube, daß die Mehrheit der Iraker tief beschämt ist über die Politik unserer Regierung, aber nicht darüber spricht, weil sie Angst hat. Ein Iraker spricht mit einem anderen Iraker nicht über Politik, nie. Ein Iraker ist gezwungen, zwei Gesichter zu haben: sein offizielles Gesicht, das regierungstreu ist, und sein wahre Gesicht, das er nur nach innen zeigt.“

„Politik ist Regierungssache“

Mit Politik wollen viele Iraker nichts zu tun haben, auch nicht mit der offiziellen. Wenn im Fernsehen eine Rede Saddams verlesen wird, drehen sich die meister Besucher der Bagdader Teehäuser nicht einmal zum Bildschirm um. „Politik ist Regierungssache“, erklärt ein Gemüsehändler einem amerikanischen Journalisten: „Schreib', daß wir, das irakische Volk, nichts gegen das amerikanische Volk haben.“

Im Überwachungsstaat Irak, dessen Geheimdienste mit Hilfe des Staatssicherdienstes der ehemaligen DDR, der Stasi, aufgebaut wurden, ist es fast unmöglich, eine organisierte Opposition aufzubauen. Immer wenn sich eine solche Opposition auch nur ansatzweise zeigte, ließ Saddam sie samt Umfeld vernichten, auch wenn ihm dabei Unschuldige zum Opfer fielen.

Den Kommunisten machte Saddam kurz nach seiner Machtübernahme Ende der sechziger Jahre den Garaus, schiitische Gegner wurden in den achtziger Jahren getötet oder ins Exil gejagt. Etliche Schiitenführer der Oppositionsgruppe „Islamischer Ruf“ flüchteten nach Kuwait, wo sie nach der Invasion von Irakern verhaftet wurden. Schiitische Moscheen gehören im Irak zu den bestüberwachten Orten. Schon an den Eingängen hängen die obligatorischen Bilder des betenden Sunniten Saddam Hussein, gepredigt wird nur das, was das Bagdader Ministerium für religiöse Angelegenheiten vorgibt. Damit der Imam diese Richtlinien auch einhält, ist der Geheimdienst meist mit Kassettenrekorder auch beim Gebet zu Gast.

Dennoch ist für etliche Schiiten Saddams Aufruf zum „Jihad“, zum Heiligen Krieg, eine Blasphemie, denn, so ein Gläubiger: „Saddam ist ein politischer Herrscher, kein religiöser Führer. Er darf nur zu einem politischen Krieg aufrufen, aber nicht zum Jihad.“ Probleme, dem Aufruf zum islamischen Heiligen Krieg zu folgen, hat auch die christliche Minderheit im Irak. Zwar spricht auch Iraks christlicher Außenminister Tarik Asis vom „Jihad“, aber etliche Christen verachten Asis als Mitläufer. Ein christlicher Taxifahrer, dessen Familie vor Jahren aus der Türkei in den Irak flüchtete, würde am liebsten sofort in die USA auswandern, denn: „Diese Leute hier sind Tiere, keine Menschen. Muslime gleichen eher Tiere als Menschen. Wenn es Krieg gibt, werde ich so schnell wie möglich abhauen. Ich habe keine Lust, für diese Leute zu sterben.“

Besonders Kurden sind gefährdet

Die wichtigsten Oppositionellen im Land sind Kurden. Obwohl Tausende von ihnen von Saddams Truppen mit Giftgas ermordet wurden oder in die Türkei flüchteten, kommt es in der sogenannten autonomen Provinz Kurdistan immer wieder zu Unruhen. Im September vergangenen Jahres gab es in der kurdischen Stadt Mossul Kundgebungen gegen die Lebensmittelknappheit, im Oktober scheiterte ein Attentat gegen den Gouverneur der Provinzhauptstadt Arbil. Und in der Gegend von Sulajmanijah töteten im Dezember kurdische Rebellen etwa 50 irakische Soldaten. Die irakische Armee schlug daraufhin mit Artillerie und Helikoptern zurück.

Besonders kurdische Oppositionelle sind vor den Irakern auch im Ausland nicht sicher. Ein Kurde aus Arbil setzte sich während des irakisch-iranischen Kriegs in den Iran ab und flüchtete von dort nach Frankreich. Als er begann, dort politisch aktiv zu werden, verhafteten die Iraker seine Familie in Arbil. Aus Angst um das Leben seiner Frau und Kinder kehrte der Exilant zurück. Er wurde sofort verhaftet, gefoltert und ins Gefängnis gesteckt. Nach einem Jahr schrieb er ein Gnadengesuch an Saddam Hussein, in dem er sein Vergehen bereute und dem Führer Treue gelobte. Er wurde tatsächlich entlassen — und zur Armee eingezogen. Der Kurde verzweifelt: „Jetzt darf ich mich von den Amerikanern erschießen lassen, für ein Regime, das ich immer bekämpft habe.“ Klaus Kurzweil, Bagdad