“Die dachten, wir sind Russen“

■ Die Fahrer der vorläufig letzten bremischen Hilfssendung nach Estland sind zurück

Ziemlich abgekämpft sahen die beiden ehrenamtlichen LKW- Fahrer aus, als sie gestern mit zwei Stunden Verspätung auf den Hof des Bremer Technischen Hilfswerk rollten. Noch vor vier Tagen hatten Wolfgang Bevern (Elektriker) und Hans-Jürgen Miks (Lackierer) gemeinsam mit Lastzügen des THW-Niedersachsen Babynahrung, Brot, Kleidung, Medikamente und Geschenkpakete in die estländische Stadt Tartu gebracht. Wegen der gespannten Situation im Baltikum war dies vorläufig der letzte Transport aus Deutschland.

„Als wir in Tartu ankamen“, erzählt Hans Jürgen Miks, „dachten die Leute erst, die Russen kommen. Die Angst sitzt ihnen in den Knochen.“ Später, als das Mißverständnis ausgeräumt war, wurden die „Helfer aus dem Westen“ dann aber um so freundlicher begrüßt. Überall seien sie eingeladen worden. „Praktisch sind wir von einem Essen zum anderen gefahren, obwohl wir ja selbst Lebensmittel mitgebracht hatten“, sagt Wolfgang Bevern. „Da kam man sich schon etwas komisch vor.“

Bei der Verteilung ging das THW pragmatisch vor. Soweit möglich, wurden Lebensmittel und Pakete direkt den Betroffenen übergeben. Nicht ohne Grund. Zu oft waren in der Vergangenheit Hilfssendungen auf unerklärliche Weise verschwunden. In einem Altenheim der Stadt wußten die alten Leute bereits, „wie so etwas normalerweise abläuft“. Schnell versammelten sie sich in der Küche und forderten, daß ihnen die Pakete persönlich ausgehändigt werden.

Gleich nachdem Altenheime, Schulen und Krankenhäuser beliefert worden waren, machten sich die insgesamt vier Lastwagen auf den Heimweg. „Wir hatten wirklich das Gefühl den Leuten geholfen zu haben“, resümiert Hans Jürgen Miks. „In den Krankenhäusern hat man uns zum Beispiel gesagt, daß die Medikamente mindestens zwei Jahre reichen.“

Ansonsten sei die Situation in der Stadt zu diesem Zeitpunkt noch erstaunlich ruhig gewesen. Erst als sich die Nachricht von Zwischenfällen in Litauen verbreiteten, begannen die Menschen nervös zu werden. „Unsere Dolmetscherin war völlig fertig, als sie von den Militäreinsätzen hörte“, erzählt Wolfgang Bevern. „Inzwischen hat sich ein richtiger Haß gegen Gorbatschow breit gemacht.“

Bevor sie endgültig losfuhren, wurde der Hilfskonvoi immer wieder gebeten: „Vergeßt uns nicht, trotz der schlimmen Situation am Golf. Wir brauchen Eure moralische Unterstützung.“ Und dann gings mit Volldampf los. „Wir dachten nur noch: Schnell raus hier, bevor es auch in Tartu so los geht wie in Vilnius“, sagt Bevern. „Wir sinddurch Vilnius, wo noch überall Trauerflore hingen, durchgebrettert. Und dann ab in den Westen.“ Birgit Ziegenhagen