“Keine normale Vorstellung“

■ Wie reagiert die Bremer Kulturszene auf den Golfkrieg? / Tränen, Trotz und Transparente

Tränen, Lähmungserscheinungen, Ohnmachtsgefühle, partielle Sprachlosigkeit: Erste Reaktionen der Bremer Kulturschaffenden am gestrigen Morgen auf den „Ausbruch“ des Golfkriegs. Überall wurde diskutiert, Musiker, Theaterleute, Kabarettisten untersuchten ihr laufendes Programm auf Angemessenheit. Kein buisiness as usual im Kulturgeschäft. Im Gegenteil: Es wird versucht, mit der Betroffenheit produktiv umzugehen.

Unter besonderem Druck: das Bremer Theater, das mit „Top Girls“ vor der Premiere stand. Mußte sich nach einem Ausfall Eva Renzi binnen weniger Tage einarbeiten, kommen „direkte Betroffenheit, Berührung und Anspannung“ bei den Spielerinnen durch die aktuellen Ereignisse hinzu.

Doch: „Wir müssen auf die Bühne“, wie Wolfgang Hofmann (Regie) sagt, auch wenn es keine „normale Vorstellung“ gibt. Den (erhofften) Schlußapplaus unterbricht eine Schweigeminute, ins Programmheft wird eine Liste mit bundesdeutschen, ins Irak-Waffengeschäft involvierten Firmen aufgenommen.

Das Orchestre du pain ließ den gestrigen „Ball gegen die Gewohnheit“ ausfallen; eine Aktualisierung soll „aus dem Ärmel geschüttelt werden“ (Uli Pöllkläsener). Keine „kabarettistische Aufarbeitung, kein Heiti-Tei“: An den kommenden Abenden wird versucht, „offensiv mit der Situation umzugehen“.

Horst Gottfried Wagner ist Kabarettist. „Mit wachsender Entgeisterung“ heißt sein Programm am Packhaus-Theater. Heute lachen? „Ich gebe nicht auf, solange noch ein Funken Komik im Furchtbaren steckt.“ Mit dem Satz quält er sich herum und hängt am Radio und hält noch Satire für möglich, weiß aber nicht, wie

hierhin bitte

die Karikatur

und unbedingt bitte

einen Rahmen

drumrum!!!!

sein Abendprogramm aussieht.

„Anarchie in Bayern“ kann und will der Theater-Jugendclub nicht spielen, „Proben ist nicht möglich“ (Karsten Werner). Ersatzweise wird gelesen, ein Text über den Weltkrieg-II-Deserteur Otto Schimek ('44 in Polen erschossen). „Das hat mit Nachdenken zu tun und unserer eigenen

Angst“.

Wir liegen kurioserweise richtig“, meint Horst P. Wessels, der im Ernst Waldau-Theater bei Max Frischs „Biedermann un de Füürpüüsters“ jetzt Regie führt. „Menschen lassen sehenden Auges ihr eigenes Unglück zu.“ Biedermann sei eh fürs Abopublikum ein „Problemstück“ und ein Diskussionsbeitrag des Theaters.

„Es wurde sehr viel geweint, bei uns wird sowas ja nicht weggesteckt“, berichtet Norbert Kentrup vom gestrigen Probenbeginn bei der Shakespeare-Company. Doch wer sich mit Shakespeare beschäftige, beschäftige sich „pausenlos mit kriegerischen Gesellschaften“ (Rudolf Höhl). „Die Situation gibt uns nur Recht.“

Immer geht es um Tempo, männlichen Ehrgeiz. Kentrup probiert gerade „Die lustigen Weiber von Windsor“, das sei allerdings „bedrückend absurd“ und „kaum auszuhalten“. Wer will, kann den Proben fernbleiben.

Bei den Aufführungen wird häufig extemporiert, viele Szenen „kippten“, wo immer gern gelacht wurde. Das Theater als Ort, wo Kommunikation über die bedrückenden Ereignisse stattfindet, wo man nicht alleine bleibt.

Organist Wolfgang Helbig änderte sein Programm im Dom an der Bach-Orgel zugunsten eines Lamentos von Bach; StudentInnen der Hochschule für Künste entwarfen spontan eine Serie von Karikaturen zum Thema; die Musikschau der Nationen fällt komplett aus; das Theater hat sein Portal schwarz verhängt; das Moderne plant ein Transparent.

Und die Schauburg? Die lädt für heute, 24 Uhr zu einer Rocky Horror/Blues-Brothers-Nacht, in Blues-Brothers-Verkleidung ist der Eintritt frei!

Burkhard Straßmann