Rolläden runter, Fernseher an

■ Besuch bei einer amerikanischen Restfamilie in Osterholz-Scharmbeck / Hoffnung auf ein schnelles Ende

Alarmstufe eins: Army-Wannen rollen durch die Straßen. MP patrouilliert durch die Wohnsiedlungen. Die Kaserne ist absolut dicht an diesem Tag danach, nach den ersten Schüssen am Golf. „Unknown Persons“, zu denen nun auch Journalisten gehören, haben keine Chance, bis ins Familiy-Care-Center vorzudringen, dorthin, wo die zurückgebliebenen Frauen betreut werden. Auch auf den Straßen in Osterholz- Scharmbeck sind nur wenige Amerikanerinnen anzutreffen: Hier ein Dreiergrüppchen auf dem Weg vom Kindergarten nach Hause, verweinte Augen, verstörte Kinder. Dort ein Möbelwagen, der beladen wird. Ein Briefträger, der Briefe wieder mitnimmt, weil der Name des Adressaten vom Briefkasten verschwunden ist. Etliche Rolläden sind heruntergelassen, in Treppenhäusern der Mietskasernen brennt Dauerlicht: Indiz für die Angst vor Terroranschlägen.

Wie all ihre Freundinnen, Bekannte, Leidensgenossinnen sitzt Leonie Stevenson (Name geändert) seit zwei Uhr früh am Fernseher: Seitdem ihre Freundin anrief, daß „es“ begonnen hat. Leonie (41) ist Mutter von sechs Kindern. Die jüngste Tochter wird morgen 16 Monate alt. Die Freunde der beiden Ältesten sind ebenfalls zum Golf geflogen. Die Frauen sitzen zusammen, reden ununterbrochen, um sich zu beruhigen — nicht nur über den Krieg und die Nachrichten, die vom Golf kommen. „Hauptsache reden. Das erleichtert. Und vor allem: Du bist nicht die einzige. Allen anderen hier geht es genauso. Deshalb ist es auch besser gewesen, hier zu bleiben. Hier kriegen wir auch viel eher die nötigen Informationen“, sagt Leonie. Die meisten würden heute wohl Zuhause bleiben — um immer erreichbar zu sein.

Zwischen die vielen Familienfotos in der Wohnung sind unzählige gelbe Schleifen verteilt: „Yellow Ribbons (...round the old, old tree)“, Symbole der Hoffnung, damit die Lieben gesund heimkehren. Auch in Fenstern, Blumenkästen und (überdimensional) um den Schau-Panzer in der Garnison schlingen sich die Bänder. Der Kriegsberichterstatter des rund um die Uhr ausstrahlenden Amerika-Senders CNN („America at War today“) trägt eine gelbe Nelke am Knopfloch.

„Du mußt einfach stark sein, besonders wenn Du so kleine Kinder hast. Wenn Du ihnen Deine Angst zeigst, verschreckst Du sie nur“, betont Leonie. Die meisten Mütter hätten den Kleinen deswegen nur erklärt, daß ihre Väter „zu einem weit entfernten Einsatz“ mußten. „Alles andere wollten wir selbst ja auch nicht wahrhaben. Ich konnte nicht 'good-bye' sagen.“ Tochter Kim mischt sich ein: „Du mußt nicht nur für Dich selbst und für die Familie, Du mußt auch für die Männer dort drüben stark sein. Sie müssen wissen, daß hier alles in Ordnung geht, damit sie sich 'darauf' konzentrieren —, damit sie 'dadurch' kommen können.“

Mit leerem Blick schaut Mutter Leonie über das Baby auf ihren Armen in Richtung Fernseher. Sekundenlanges Schweigen. Ihre Augen füllen sich mit Tränen: „Als mein Mann den Ehering auf den Nachttisch legte, wurde mir erst klar, um was es geht“, sagt sie dann. Bilder von der Familie habe er nicht mitnehmen wollen: In Gefangenschaft könnte er sie in Gefahr bringen. Noch in letzter Minute hatte die Familie ein Foto mit ihren Männern in Uniform machen lassen: „Vielleicht ist es das letzte.“ Ihr Mann hat einen Kassettenrekorder mitgenommen: „Dann kann er den Kindern zeigen: Ich war da.“ Über den TV-Schirm flimmert ein Foto von Saddam Hussein: Sie haben ihm so viele Gelegenheiten gegeben, sagt Leonie. Keine habe er angenommen. „Ich kann es nicht aushalten, im TV auf ihn zu schauen“, auf den „horrible look on his face“.

„Ich kann es nicht verstehen, wie er soviele Menschen opfern kann.“ Leonie Stevenson hofft, daß Hussein selbst zu dem Punkt kommt, an dem es genug ist, an dem er sagt „let's stop it now.“ Wieder mischt Tochter Kim sich ein: In den zehn Jahren Krieg gegen die Iraner habe er seine gut ausgebildeten Soldaten doch eh verloren. „Und wir haben solch gute Waffen und soviel Erfahrung aus Vietnam“, betont die 19jährige. „Nach dem, was sie vergangene Nacht vollbracht haben, kann es nicht lange dauern“, glaubt auch die Mutter.

Als das Telefon klingelt, ruckt das Baby herum: „Daddy...?“ Birgitt Rambalski