Angst um die Türkei: ImmigrantInnen fürchten den Krieg im Golf

Ayse

Kurdin aus der Türkei und Studentin: Ich habe zum Glück keine Verwandten, die zum Militär müssen, aber Verwandte von mir leben in Diyabakir nahe der irakische Grenze. Sie arbeiten dort in der Verwaltung. Angst habe ich natürlich. Schlafen kann ich auch nicht mehr. Und es ist auch völlig klar, daß die Türkei in die Sache reingezogen wird — schon allein wegen des Luftstützpunktes in Incirlik, den die Amerikaner benutzen wollen. Ministerpräsident Özal will sich da auch einmischen, obwohl er keine Unterstützung in der Bevölkerung hat. Das Volk in der Türkei will keinen Krieg. Und für die Kurden bedeutet die ganze Sache ohnehin eine Verschlechterung — auch in der Türkei. Präsident Özal will die Gelegenheit nutzen, die Kurden aus der Region zu vertreiben.

Metin Cankaya

Lebensmittelhändler: Angst habe ich natürlich. Meine beiden kleinen Kinder sind in der Türkei. Die sind drei und vier Jahre alt. Aber ich hatte sehr gehofft, daß es keinen Krieg geben wird. Schließlich ist doch die ganze Welt dagegen. Statt mit Bomben sollte man das Problem mit Kugelschreibern lösen. Gespräche und immer wieder Gespräche sind das einzige, was helfen kann. Das funktioniert überall so, auch bei uns in der Familie. Da herrschen auch unterschiedliche Meinungen. Deswegen schlagen wir uns nicht. Wir reden darüber und vertragen uns dann wieder. Gorbatschow macht jetzt in der Sowjetunion den gleichen Fehler in Litauen. Anstatt zu reden, schickt er die Armee.

Metin Aydogan

Schlossermeister (47): Ich war auf der großen Demo letzten Samstag. Ich bin 100prozentig gegen den Krieg. Aber ich habe befürchtet, daß es passiert. Die Amerikaner verlegen nicht umsonst so viele Soldaten an den Golf. Saddams Überfall auf Kuwait ist zu verurteilen, aber die USA haben die Situation unnötig verschärft. Wäre die Sowjetunion eine starke Gegenmacht geblieben, wäre die Situation am Golf nicht eskaliert. An diesem Krieg wird die ganze Menschheit leiden; es kann sich doch keiner eine Vorstellung von den ökologischen Folgen machen, wenn zum Beispiel die Ölfelder brennen. Und daß das ein heiliger Krieg sein soll, wie Saddam behauptet, das ist lächerlich. Er will nur die anderen arabischen Länder an sich binden.

Mehmet Turan

Zimmermann (34): Ich habe gerade mit meinem Vater in Istanbul telefoniert, da geht das Leben ganz normal. Keine Angst und keine Panik. Aber in der Osttürkei haben sie die Schulen zugemacht. Klar liegt die Schuld beim Irak und bei Saddam Hussein, aber auch bei Bush. Was haben denn die Amerikaner da unten in Saudi-Arabien zu suchen? Jetzt ziehen sie uns noch mit rein. Und was die Deutschen uns da an Flugzeugen geschickt haben, ist totaler Schrott. Aber ich hatte fest geglaubt, nicht, daß es Krieg geben wird. Am Ende des Ultimatums ist nichts passiert, also, dachte ich, wird jetzt auch nichts mehr passieren. Jetzt kann es schon sein, daß sie mich zum türkischen Militär holen. Dann muß ich eben gehen.

Sermra Erzan

Dönerverkäuferin (40): Natürlich geht uns das nahe. Meine Familie und mein Mann leben in Diyabakir. Wir haben gestern telefoniert. Die Stadt ist fast leer, weil die Leute alle aufs Land und in die Dörfer flüchten. Ein anderer Teil meiner Familie lebt in Ankara. Dort ist wohl alles noch ruhig, aber es ist eine unheimliche Ruhe. Ich bin unglaublich wütend auf Saddam. Was der da angerichtet hat, könnte der dritte Weltkrieg werden. Und sein Gerede vom heiligen Krieg ist totaler Quatsch. Wir sind auch Muslims, aber jeder weiß doch, daß es hier nicht um einen heiligen Krieg geht, sondern darum, wer mehr Macht hat. Ich hoffe, daß die Türkei sich zurückhalten und keinen Krieg erklären wird. Wenn der Irak uns angreift, müssen wir uns natürlich wehren.

Sükran

Kurdin aus der Türkei: Angst? Natürlich haben wir Angst. Ich kann nachts auch kaum mehr schlafen. Ich war mir ohnehin sicher gewesen, daß es Krieg geben würde. Und zu Hause reden wir natürlich ständig darüber. Für die Deutschen ist das ein anderes Gefühl. Sie sind ja nicht direkt betroffen von dem, was in dieser Region passiert. Zumindest sind erst mal keine Verwandten von mir betroffen, was das Militär angeht. Und ich kenne in meinem Bekanntenkreis auch keinen, dem es im Traum einfallen würde, zum türkischen Militär zu gehen, falls die Türkei auch in den Krieg verwickelt wird.

Umfrage: Andrea Böhm

Fotos: Rolf Schulten/Octopus