Bloß keine schwarzen Löcher!

Schaubühne am Lehniner Platz: Hier wurde gestern Der Kirschgarten von Anton Tschechow gespielt. Auf der Odyssee durch die Telefonleitungen, war zunächst niemand bereit, ein Statement zum Spielplan abzugeben. Eine Frau am anderen Ende der Strippe war entsetzt von der Idee, man könnte das Haus schließen: »Wovon sollen wir leben?!« Schließlich sagte Dr. Friedrich Barner, Assistent der Direktion: »Bei uns wird nichts geändert. Der Spielplan wird weiter so gemacht wie geplant. Wir haben natürlich die Lage diskutiert, aber nicht unter dem Aspekt, Vorstellungen ausfallen zu lassen, weil das unserer Ansicht nach nicht das richtige Mittel ist, auf die Situation zu reagieren und auf die Probleme einzugehen. Ich glaube nicht, daß dadurch die Kriegsparteien beeindruckt wären. Das Deprimierende ist ja, daß man gar nicht weiß, wie man mit unseren friedlichen Mitteln auf sie einwirken kann. Die Funktion von Theater kann nicht so unmittelbar sein, daß man in der jetzigen Siutation irgend etwas erreichen kann. Man kann die verschiedenen Konflikte, die existieren, nicht so in ein Gefühl bringen, daß man daraus schließen könnte, daß man sich a priori so oder so zu verhalten hätte. Man überfordert die Institution als solche und setzt in ihrer Auswirkung auf die Öffentlichkeit einen zu hohen Stellenwert an.«

Theater der Freien Volksbühne: Wegen Premierenvorbereitungen wäre das Theater gestern sowieso geschlossen gewesen. Schon seit Mittwoch nachmittag sind jedoch in den Fenstern des Foyers weithin sichtbar die Worte »Stopp den Krieg« angebracht.

Kabarett »Die Distel«: Spielte gestern Über-Lebenszeit. Dort fand man es jedoch »selbstverständlich«, daß das Thema ins Programm aufgenommen wird. Das sei sicher nicht leicht, aber man müsse es ja nicht immer ulkig machen. Aber eine Stellung dazu müsse man schon beziehen, das sei besser, als den Betrieb ganz zu schließen. Es wäre nicht gut, das Publikum, das ohnehin nicht ströme, nach hause zu schicken. Man sei außerdem wahrlich keine Lachbühne und kein Operettenhaus.

Berliner Ensemble: Intendant Manfred Weckwerth: »Wir sitzen hier gerade zusammen, aus ähnlichen Gründen. Wir haben schon gestern abend den Betrieb etwas verändert und haben vor jeder Vorstellung eine Demonstration des Ensembles und der Techniker mit einem leider wieder sehr aktuellen Brecht-Text — »Das Gedächtnis der Menschen für vergangene Leiden ist sehr kurz [...], uns drohen Kriege...« Da findet jeden Abend vor der Vorstellung ein Meeting statt, und wir konzentrieren uns auf bestimmte Stücke, auf die Antikriegsstücke. Es gibt ja von Brecht Stücke, die leider wieder sehr aktuell sind wie zum Beispiel Mutter Courage. Im übrigen sind die Mitarbeiter hier sehr engagiert auf Demonstrationen gegen den Rückfall in die Zeiten der großen Kriege, wo wir jeden Abend mit dem gesamten Spielensemble sind und machen dort Porgramme. Heute abend spielen wir die Dreigroschenoper mit dem Vortext. Unser Zorn und unser Entsetzen über den Rückfall ins Mittelalter, wo der Krieg als Mittel wieder an Stelle der Politik tritt, wollen wir nicht dazu werden lassen, daß wir aufhören zu arbeiten. Weil wir unsere Arbeit auch so verstehen, daß wir uns gegenseitig ermutigen, mit Komödien dieses Leben weiter zu begreifen. Aber bevor unsere Zuschauer die Dreigroschenoper sehen, sehen sie die Losung »Kein Blut für Öl«, die wir ringsherum aufgehängt haben. Und selbst das Thema der Dreigroschenoper, die Verbindung von Moral und Verbrechen, bekommt ja wieder eine gewisse Akutalität.«

Theater unterm Dach: Es wurde Burning Love von Fitzgerald Kusz gespielt. Die Leiterin, Liane Düsterhöft: »Ich habe nicht die Absicht, die Vorstellung ausfallen zu lassen. Sondern ich denke, wenn Menschen zusammenkommen, gibt es auch die Möglichkeit, davor oder danach miteinander zu reden, zum Beispiel bei uns im Foyer. Darüber hinaus haben wir die »Waabe«, das ist unser zweiter Veranstaltungsort, geöffnet für jedermann, der das Bedürfnis hat, sich zusammenzufinden, zu reden oder sich einfach zu bekennen. Wir sind also offen für Menschen, die sich äußern möchten. Mehr kann ich Ihnen nicht dazu sagen, weil mich das alles zu sehr berührt. Ich bin sehr aufgeregt.«

Friedrichstadtpalast: Intendant Otto: »Nummer eins: Es wird die Revue Kiek mal an gespielt. Nummer zwei: Unser Haus kämpft ja sehr ums Überleben. Da hängen ja viele Probleme dran. Wir sind kein Haus, das keine andere Vorstellung an Stelle dieser zeigen kann. Wir sind ein En- suite-Theater — wir können nur schließen oder spielen. Sicher gab es da eine Diskussion, aber wir müssen ein sehr starkes Interesse daran haben, unsere Existenz zu sichern.«

Knaack-Club: Thorsten: »Wir halten unser Programm aufrecht, egal was passiert. Das hat jetzt mit dem Golfkrieg an sich nichts zu tun. Das ist bei uns grundsätzlich so: ob da deutsche Einheit ist oder Weihnachten oder Silvester oder Golfkrieg — bei uns ist immer Programm und immer das, was vorgesehen war. Wie die Stimmung dann immer ist, ist ein anderes Ding. Aber unser Prinzip ist, egal, was draußen passiert, hier drinnen zumindest eine stabile Sache zu bieten. Oben gibt's heute indische Musik — das würde sogar passen — und unten in der »Darmwäsche« ist ganz normale Diskothek von 22 bis 4 Uhr. Die Leute werden schon kommen, weil das halt ein Treffpunkt ist. Gestern zum Beispiel hat keiner getanzt, und es wurde auch keine Musik gespielt, nach der man hätte tanzen können, trotzdem haben wir nicht zugemacht. Wir haben dann Nachrichten eingespielt.«

Staatliche Schauspielbühnen: Nach der Vorstellung Die Räuber, die ja ganz gut passe, so daß man sie nicht absetzen brauche, sollte eine Sonderveranstaltung stattfinden: Der Regisseur Ivan Berg und die Schauspielerin Tatja Seibt lasen Texte gegen den Krieg von Fried, Villon, Anders und Borchert im Oberen Foyer des Schiller-Theaters. Ansonsten hat das Schiller-Theater-Ensemble schon am letzten Samstag an der Demo teilgenommen und jetzt zusammen mit dem Deutschen Theater an den UN-Sicherheitsrat ein Telegramm geschickt.

Deutsche Oper: Hier meint man zuerst, es ginge um die Auswirkungen der Finanzkürzungen auf den Spielbetrieb. Nachdem das Mißverständnis geklärt ist, sagt die Sekretärin des Intendanten: »Wir spielen Madame Butterfly wie geplant. Ich habe gerade mit dem verreisten Intendanten darüber gesprochen, und er hat eine Vorstellungsänderung nicht erwogen. Wenn wir heute die Fledermaus gehabt hätten, wäre das vielleicht etwas anderes gewesen. Aber Butterfly ist ja nicht gerade ein heiteres Stück.«

Eiszeit-Kino: Hier war die Premiere Das kleine Ding — fast wie ein Krimi, präsentiert vom Theater Yo- Yo-Ta — und anschließend der Film Tote tragen keine Karos vorgesehen: »Die Premiere wird morgen erst staffinden, wir haben gesagt, an dem Tag, an dem Krieg ausbricht, wird das Kino geschlossen. Wir gehen dann heute abend auf die Demo.« Umfrage: a.m./DoRoh/

grr/kotte

SO 36: Hier stand gestern eine Voraufführung des Stücks Fruchtfleisch — eine Geschichte über Vicki und Guido und ihre Beziehung zum Essen — auf dem Programm. Mark, der sich mit »Kriegsberichterstattung« meldet, will die Frage, ob gespielt wird, den Künstlern überlassen. Die habe man bis dato noch nicht erreicht.

Quasimodo: Die Nachricht vom Kriegsausbruch, vom Sänger der Mad Romeos verkündet, verhinderte am Mittwoch eine Zugabe im Quasimodo. Dort kann man keine andere Auskunft geben, als daß wir »das normale Programm machen, also die Gruppe, die wir gebucht haben, wird heute spielen. Man müßte außerdem die Künstler fragen. Die Berliner Gruppe Bamboo Industry werde wohl ganz normal zum Soundcheck kommen, »die haben weder angerufen noch sonstwas«.

Im Flöz stand gestern Jam Do, Urban Experimental Jazz, auf dem Programm. Franz de Byl: »Ausfallen? Das können wir uns nicht leisten. Das kann sich die Deutsche Oper leisten, aber wir nicht. Wir sind doch nicht für diesen Scheiß verantwortlich. Und dann mußt du mal überlegen, was die Musiker dazu sagen, die das Geld brauchen und die sonst morgen nicht mehr frühstücken können. Was können wir denn mit unseren Mitteln tun außer Demonstrieren und ein paar Kerzen anzünden. Das machen wir tagtäglich, aber nicht zu irgendwelchen besonderen Anlässen, genausowenig wie wir nicht gewohnt sind, Geschenke nur zu Weihnachten auszuteilen. Da wir seit fünf Monaten über die Geschichte diskutieren, sehe ich jetzt keinen besonderen Anlaß. Du hast ja keine Ahnung, was kulturell in dieser Stadt läuft. Wir machen doch keine Heino-Abende, da schmiert jede Diskussionsrunde dagegen ab. Hier findet 'ne ernsthafte Diskussion statt, die dazu geeignet ist, die Leute mit Musik zu versorgen, die dazu dient, aus ihnen intelligente und emotional gut funktionierende Menschen zu machen, die am nächsten Tag dazu beitragen, daß die Welt 'n bißchen besser wird.«

Im Ecstasy stand gestern die Hellraiser-Party auf dem Programm und sollte wohl auch stattfinden. Zum genauen Programm war nur soviel zu erfahren, daß es eine Piratenparty sei und daß es am Anfang Rum gäbe.

Irmgard vom Loft befürchtet, daß »eventuell Konzerte ausfallen. Aber das heißt natürlich nicht, daß wir unser Büro zumachen. Es könnte zum Beispiel sein, daß Iggy Pop nicht mehr fliegt.« Erst mal würde so weitergemacht werden, schon wegen der vertraglichen Verpflichtungen mit den Konzertagenturen. »Sollte in ganz Berlin eine Art Streik stattfinden, dann würde ich mich natürlich daran beteiligen. Aber das geht nicht über Wochen. Die Geschäftsbedingungen haben sich ja nicht geändert.« Und außerdem: »Auch wenn jetzt der Krieg ausgebrochen ist, sollte das Leben doch irgendwie weitergehen. Ja, ich amüsiere mich auch weiter. Ich kann mich nicht in die Ecke stellen und acht Stunden weinen. Ich kann auch nicht acht Stunden jeden Tag auf die Straße gehen.«

Das Quartier kann sich eine Absage der Varieténacht Vive la Varieté »nicht leisten«. Spielplanänderungen oder Ausfälle seien nicht geplant, meint Quartier-Geschäftsführer Lutz Nedel. Man sehe auch keinen Anlaß dafür: »Wem würde das was nützen, außer daß es mir schadet?«

Das Mehringhoftheater wollte gestern darüber diskutieren, ob das Kabarettprogramm von Andreas Giebel so oder überhaupt stattfinden sollte.

Adolfo Assor vom Garntheater, einem Zweimanntheater, das zur Zeit Kafkas Der Bau auf dem Spielplan hat: »Wir haben heute drei Vorbestellungen und morgen vier, wir können die doch nicht einfach heimschicken. Und wir müssen ja auch leben, gestern war zum Beispiel gar keiner da. Aber wir wissen es noch nicht genau. Vielleicht kann ich heute auch gar nicht auftreten.«

Vagantenbühne: »Wir spielen ja heute zufällig etwas, was wir getrost auf dem Spielplan lassen können, wenn wir etwas Unterhaltsames auf dem Spielplan gehabt hätten, dann hätten wir sicherlich gewechselt oder ausgetauscht«, meint Theaterleiter Jens-Peter Behrend. »Wir spielen heute Endspiel von Beckett, das ist sicherlich kein politisches Stück im engeren Sinne, aber sagen wir mal, das ist so etwas Existentialistisches, das kann man da getrost spielen. Außerdem sind wir gerade in der Vorbereitung zu einem innenpolitischen Stück, das sich mit Unterdrückung und Folter auseinandersetzt, so daß wir da kein schlechtes Gewissen haben müssen mit unserem Programm.«

Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz: Am Mittwoch hatte Die englische Geliebte von Margaret Duras Premiere, gestern wurde eine Reaktion auf den Golfkrieg bis Redaktionsschluß noch diskutiert. Theatermanufaktur: Eine Reaktion wurde noch diskutiert.

Buchladen Prinz Eisenherz: »Wir haben persönlich darüber geredet, aber wir machen als Buchladen nichts Besonderes«, meint Buchhändler Piet. Im Buchhandelswesen gebe es momentan nämlich auch eine Krise, »die Berlin-Krise«. Weil die Berliner Bücherauslieferungen aus Kostengründen geschlossen würden, herrsche bei der Buchbestellung das Chaos. Deshalb werde man heute abend nicht zur Demo, sondern zur Krisenversammlung der Berliner Buchläden gehen.

Buchladen Lilith: Händlerin Andrea Kleist sagt, daß man am Überlegen sei, aber nicht so schnell handeln wolle. Nachgedacht werde über Lesungen, Streik oder darüber, etwas ins Fenster zu hängen.

Schwulenzentrum SchwuZ: Man gucke gemeinsam fern, sagt SchwuZ-Oberhäuptin Marika Radtke, wahrscheinlich werde das Thema Golfkrieg bei der heutigen Talk-Show »Talk-SchwuZ« zur Sprache kommen.

Sputnik-Kino: Heute sei das Programm eher nicht so, meint die Vorführerin, denn da würden Die kleinen Strolche gespielt. Über Programmänderungen in den nächsten Tagen sei nichts bekannt.