: Machos in Funkhaus
Eine ehemalige freie Mitarbeiterin des Bayerischen Rundfunks klagt gegen den Programmdirektor Udo Reiter: Sexuelle Belästigung und Verleumdung am Arbeitsplatz ■ Aus München K. Behringer
Sexuelle Anmache am Arbeitsplatz — ein Thema, über das Männer mit süffisantem Lächeln und Frauen zähneknirschend schweigen. Daß auch die Rundfunkanstalten nicht gerade ein Hort der Gleichberechtigung sind, davon wissen die Mitarbeiterinnen ein Lied zu singen. Selten jedoch wagt eine den offenen Kampf gegen diskriminierende Männerkumpanei. Myriam Muhm, ehemalige Mitarbeiterin beim Bayerischen Rundfunk, hat dieses Tabu nun gebrochen. Sie stellte im Dezember 1990 Strafanzeige beim Landgericht München I gegen den Hörfunkdirektor des Bayerischen Rundfunks, Udo Reiter. Weil er vor Gericht von seinem Versprechen, Frau Muhm weiterzubeschäftigen, nichts mehr wissen wollte, soll Reiter sich jetzt wegen Falschaussage verantworten. Am 9.Dezember 1988 hatte Myriam Muhm sich hilfesuchend an den Hörfunkdirektor gewandt. Nach zwölf Jahren als Sprecherin und feste freie Mitarbeiterin in der italienischen Redaktion des BR bekam sie plötzlich immer weniger Aufträge. Fachliche Gründe konnte es ihrer Meinung nach dafür nicht geben. Redakteur Gualtiero Guidi hatte ihre journalistische Arbeit wiederholt auch vor Zeugen gelobt. Wie Myriam Muhm vermutet, sollte sie sich Sonderwünschen der Redakteure Guidi und Cerza anpassen. „Mit Ihnen würde ich gerne eine Nacht verbringen, weil ich mir vorstellen kann, wie Sie das anekelt“, ist nur eine von vielen Nettigkeiten, die sich die Journalistin anhören mußte.
„Die Beschäftigung von freien Mitarbeitern hängt völlig von den persönlichen Beziehungen zu den Redakteuren ab“, beschreibt Myriam Muhm die Arbeitssituation. Stimmt der persönliche Kontakt zu den Redakteuren nicht, muß sich manch eine einen neuen Job suchen. „Man wird so lange gedemütigt, bis man selbst die Koffer packt und geht“, schildert die 35jährige die Situation. Die Segel wollte Muhm trotz aller Schwierigkeiten nicht streichen und ging zum Vorgesetzten von Cerza und Guidi, dem Leiter der Abteilung Ausländerprogramme, Friedrich Gmeiner. Der hielt ihre Beschwerden schlichtweg für erfunden. Nächste Instanz: der Hörfunkdirektor Udo Reiter. Der hörte sich Muhms Befürchtungen um den Arbeitsplatz und die Vorwürfe gegen Guidi und Cerza an. „Selbstverständlich, Frau Muhm, werden Sie weiterbeschäftigt, wenn sich dies bewahrheitet“, war die Antwort Reiters. Zeugen des Gesprächs: Rechtsanwalt Thomas Pfister und Bruder Raoul Muhm. Bewahrheiten konnten sich die Vorwürfe nicht, weil „bisher nichts überprüft wurde“, sagt Myriam Muhm. Ihr Arbeitsvertrag lief am 31.Dezember 1988 aus, und sie entschloß sich zu einer arbeitsrechtlichen Klage.
Vor der Neunten Zivilkammer München I wollte Reiter im Februar 1990 „lediglich Gespräche (...) im Hinblick auf die neue Situation angeboten haben“. Die Wiedereinstellung von freien Mitarbeitern sei Sache der Redakteure, in die Reiter sich nie einmische. Eine Aussage, über die der ehemalige Hauptabteilungsleiter Unterhaltung, Helmut Kirchammer „sehr erstaunt“ war. In seiner Abteilung habe Reiter, sogar gegen seinen ausdrücklichen Willen, freie MitarbeiterInnen bestimmt. Wer mehr als ein Drittel seines Einkommens durch Aufträge des Bayerischen Rundfunks verdient, wird fester freier Mitarbeiter. Dieser arbeitnehmerähnliche Status bringt Kündigungsschutz, Urlaubsanspruch und Zuschüsse zur Altersversorgung.
Ein Jahr lang hat Myriam Muhm Zeugenaussagen gesammelt. Schwer genug, denn obwohl es viele Mitwisserinnen gibt, will keine reden. „Viele haben mir gesagt, sie werden sich vor Gericht an nichts erinnern.“ Drei Frauen aber, die ebenfalls beim Bayerischen Rundfunk sexuellen Belästigungen ausgesetzt waren, werden aussagen. Die italienische Redaktion ist laut Myriam Muhm keine Ausnahme. Eine Kollegin, die wiederholt „Angebote für einen gemeinsamen Feierabend“ ablehnte, konnte dabei noch erfahren, ihr „Chef“ habe nichts dagegen, daß sie einen Freund habe. Aber so viel Frust und Absagen konnte der gute Mann nicht verkraften: In diesem Jahr schrumpften ihre Honorare auf ein Drittel des Vorjahres. Ihr Hausausweis für 1991 wurde nicht mehr verlängert.
Seit dem 27.Dezember 1990 läuft jetzt bei der Staatsanwaltschaft am Landgericht München I ein zweites Verfahren gegen den Hörfunkdirektor Udo Reiter. Das Urteil in den arbeitsrechtlichen Verfahren vom Februar letzten Jahres, das zugunsten des BR-Programmdirektors ausfiel, wird am 21.Januar aufgehoben. Der Angeklagte Udo Reiter muß sich wegen des Vorwurfs der Falschaussage vor der zweiten Gerichtsinstanz noch einmal verantworten. Myriam Muhm und ihr Rechtsbeistand rechnen damit, daß Reiter auf einen frühen Vernehmungstermin drängen wird. „Er wird natürlich hoffen, daß er so bald wie möglich die Anschuldigungen gegen ihn widerlegen kann“, erklärte Bruder Raoul Muhm, von Beruf selbst Jurist. Das Landgericht München I hat Myriam Muhm Prozeßkostenhilfe zugestanden.
Über die Dauer des Verfahrens allerdings wagt sie noch keine Prognose. Gerichtsverfahren können sich jahrelang hinziehen, auch wenn die Beteiligten die lästige Angelegenheit so schnell wie möglich aus der Welt haben wollen.
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