Für die Grünen geht es um die Existenz

■ Hessenwahl am Sonntag im „Windschatten“ des Golfkrieges/ Meinungsforscher sprechen von einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der CDU/FDP-Regierung in Wiesbaden und dem rot-grünen Lager

Frankfurt (taz) — Am kommenden Sonntag sind 4,3 Millionen Hessen aufgerufen, einen neuen Landtag zu wählen. Die Meinungsforscher prophezeien ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der konservativ-liberalen Regierungskoalition in Wiesbaden und dem rot-grünen Lager. Doch während CDU und FDP in Treue fest zueinander stehen, ging der Spitzenkandidat der hessischen SPD, Hans Eichel, nach dem Wahldebakel seiner Partei und der Abwahl der Grünen bei den Bundestagswahlen erst einmal auf Distanz zu Joschka Fischers grüner Truppe, auch wenn sich die Ökopartei in Hessen als „stabiler politischer Faktor“ (Eichel) erwiesen hätten.

Nach dem Totalabsturz der Grünen bei den ersten gesamtdeutschen Wahlen übt der rechte Flügel der hessischen SPD massiven Druck auf Eichel aus, der als Oberbürgermeister von Kassel einer der ersten sozialdemokratischen Kommunalpolitiker war, der eine Koalition mit den Grünen wagte. Vor allem die sozialdemokratischen Gewerkschafter aus dem Norden liebäugeln mit der FDP — und Eichel betont, daß er nur für die absolute Mehrheit der Sozialdemokraten kämpfe: „Über Koalitionen rede ich erst nach der Wahl.“

Diese Strategie der Sozialdemokraten erleichtert wiederum den Grünen den Wahlkampf. „Wer Rot- Grün will, der muß die Grünen wählen“, heißt ihr logischer Schluß. Denn wer SPD wähle, der laufe Gefahr, am Ende aufs „rot-gelbe Pferd“ gesetzt zu haben, orakelte Joschka Fischer auf einem Neujahrsempfang in der südhessischen Provinz.

Daß der FDP-Landesvorsitzende und amtierende Wissenschaftsminister Wolfgang Gerhardt der SPD bislang die kalte Schulter gezeigt hat, ist für die Grünen kein Gegenargument: „Die FDP hat Öl in den Kniekehlen. Wenn es für die Lambsdörffer nur mit der SPD zur Regierungsbildung reicht, werden die voll einknicken“ (Fischer).

Der Hessenwahlkampf war deshalb vor allem ein politisch-ideologischer, bei dem Sachthemen eine sekundäre Rolle spielten. Selten waren die Slogans der Parteien niveauloser: Von „Hessen geht vor — gehen Sie mit“ (CDU) über „Hessen braucht wieder Vertrauen“ (SPD) bis hin zum freidemokratischen Storm-Zitat „Kein Mensch gedeiht ohne Freiheit“. Einzig den Grünen wird selbst von den Anhängern anderer Parteien bescheinigt, mit ihrer headline ins Schwarze getroffen zu haben: „Hessen muß grün werden, weil die Republik schon schwarz genug ist.“

Erstmals in der Geschichte der Ökopartei klebte die Basis „personenbezogene Plakate“ mit den Konterfeis von Joschka Fischer und Iris Blaul auf die Ständer. „Noch nie zuvor waren die Mitglieder der Partei im Wahlkampf so fleißig wie diesmal“, lobt Landesgeschäftsführer Korwisi: „Die Basis schleppt hier kiloweise Wahlkampfmaterial ab.“ Vom grünen Präservativ für die Großen bis zum grünen Windrädchen für die Kleinen ist bei Korwisi alles zu haben.

Unsicherheitsfaktor bleibt die FDP

Die Grünen wissen, daß sie in Hessen für die gesamte Partei kämpfen. Hier entscheide sich, ob die Partei noch eine Zukunft habe. Falls es am 20. Januar nicht zu einem überzeugenden Ergebnis komme, könne man die kommenden Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und in Hamburg „glatt vergessen“, meint Joschka Fischer. Für ihn liegt ein „überzeugendes Ergebnis“ bei „acht Prozent plus X“. Alles darunter sei eine Niederlage. Bei den Landtagswahlen 1987 waren die Grünen auf 9,4 Prozent gekommen.

Die Chancen der Grünen stehen nicht schlecht. Die skandalgeschüttelte Regierung Wallmann steht argumentativ mit dem Rücken an der Wand. SPD und Grüne geißeln die Umwelt- und Atompolitik der Landesregierung, werfen den Wallmännern „grobe Versäumnisse“ in der Wohnungsbaupolitik vor und halten die Verkehrspolitik der CDU/FDP- Koalition für eine „Katastrophe“. Daß auf den hessischen Autobahnen insbesondere seit der Vereinigung nichts mehr geht und Alterativen — wie der Ausbau des Schienennetzes und die Modernisierung des öffentlichen Nahverkehrs — nicht realisiert wurden, spüren die Bürgerinnen und Bürger des Landes täglich.

Die CDU sackte denn auch bei den Umfragen der letzten Tage weiter ab. Ein „Unsicherheitsfaktor“ (Fischer) bleibt allerdings die FDP, die nach wie vor bei stabilen zehn Prozent gehandelt wird. Der zweite, weitaus gewichtigere Unsicherheitsfaktor ist die Lage am persischen Golf. Wie eine Hessenwahl unter den Bedingungen eines die gesamte Welt tangierenden Golfkrieges ausgehen wird, weiß zur Zeit niemand zu sagen. Klaus-Peter Klingelschmitt