Die Kompromißlösung der hessischen SPD

„Woody“ Eichel — der alleingelassene SPD-Spitzenkandidat mit dem Charisma eines gewissenhaften Chefbuchhalters/ Der langjährige Oberbürgermeister von Kassel wirkt in Südhessen mit seiner Metropole Frankfurt ein wenig deplaziert/ Größter Wahlhelfer ist die Bonner Koalition  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Wer dem Spitzenkandidaten der hessischen SPD, Hans Eichel (49), in diesen heißen Wahlkampftagen tief in die Augen blickt, hat den Eindruck, daß der Mann von Angst vor der eigenen Courage gepeinigt wird. Als langjähriger Oberbürgermeister von Kassel und „Vater“ der ersten rot-grünen Koalition auf kommunaler Ebene in Hessen hat sich Eichel in der Region einen Namen gemacht.

Als Vorsitzender der hessischen SPD und Landtagswahlkämpfer ist der Genosse Eichel dagegen ein unbeschriebenes Blatt — vor allem im bevölkerungsreichen Ballungsraum Südhessen. Eichel ist kein abgeklärter Wahltycoon wie Joschka Fischer (Grüne), kein begnadeter Volksschauspieler wie Walter Wallmann (CDU) und auch kein cooler Banker wie Wolfgang Gerhard (FDP). Hans Eichel ist ein spröder Workoholic mit dem Charisma eines gewissenhaften Chefbuchhalters, ein gutwilliger Provinzpolitiker aus Hessisch- Sibirien, letztlich der personifizierte Kompromiß zwischen den streitbaren Unterbezirken der Partei.

Diese Partei hat ihrem Spitzenkandidaten kaum dabei geholfen, sich binnen Jahresfrist von einer „unbekannten Größe“ zum hessenweit akzeptierten Gegenpol zu Wallmann zu mausern. Im Gegenteil: Die flapsigen Randbemerkungen aus dem Umfeld der sozialdemokratischen Wahlkampfberater haben den Kandidaten noch zusätzlich verunsichert. „Unser Woody Allen“ ist Hans Eichel nämlich nicht, auch wenn die Charakterisierung des „Landeis“ Eichel als „Stadtneurotiker“ der grün-sozialdemokratischen Intelligenz in den Metropolen ein wissendes Schmunzeln entlockt.

Wie ein Fremdkörper unter Betriebsräten

Daß Eichel ausgerechnet der Wählerinitiative aus Intellektuellen und Künstlern, die seit Monatsfrist für eine rot-grüne Landesregierung wirbt, öffentlich eine geharnischte Distanzierungserklärung hat zukommen lassen („wie nach einem terroristischen Anschlag“, Till Schulz), weil er seinen Wahlkampf partout ohne Koalitionsaussage bestreiten will, hat viele der engagierten Intelligenzler direkt in die Arme der Grünen getrieben.

Aber auch dort, wo in der SPD eher das „proletarische Element“ zu Hause ist, wirkt Hans Eichel deplaziert. In der Opelstadt Rüsselsheim stand der SPD-Wahlkämpfer im braunen Kashmirmantel wie ein Fremdkörper zwischen den Betriebsräten und den sozialdemokratischen Lokalgrößen, die die Stadt archaisch und fest im Bündnis mit der CDU regieren. Plakate hatten die Rüsselsheimer Sozialdemokraten für Eichel nur vereinzelt geklebt. Und so mußte der Spitzenkandidat in einer Stadt mit 60.000 Einwohnern vor nur knapp 50 ZuhörerInnen auftreten.

Daß der Wahlkampfhelfer Johannes Rau an seiner Seite mehr Beifall erhielt als der Spitzenkandidat der Partei selbst, registrierten nur wenige, etwas sensiblere Sozialdemokraten am Rande der Veranstaltung. „Wer von den Figuren ist eigentlich der Eichel?“ fragte ein alter Sozi seinen Nachbarn. Und beide trauerten den „alten Zeiten“ nach, als noch ein Holger Börner in der Staatskanzlei die Dachlatte schwang.

Hans Eichel, der Mann zwischen allen Stühlen, der vor allem die Frauen an die SPD binden soll, und der doch gerade unter Frauen merkwürdig gehemmt wirkt. „Bei uns machen Frauen Staat“ plakatieren die Sozialdemokraten. Und auf dem Plakat gleich nebenan heißt es, daß die hessische SPD 3.000 neue Lehrer einstellen werde, wenn sie ans Ruder kommt.

Auf der Pressekonferenz unter den Wiesbadener Kurkollonaden, auf der Eichel Ende Dezember sein paritätisch besetztes Schattenkabinett präsentierte, hatte der Kandidat Schwierigkeiten mit seiner Rolle im Kabinett der fünf klugen Frauen: „Ich führe ein Team, aber auf den Wahlplakaten wird nur mein Gesicht zu sehen sein.“ Dabei bräuchte Eichel „seine“ Frauen nun wirklich nicht zu verstecken. Mit der Berliner Ex-Senatorin Heide Pfarr, der Herforder Stadtkämmerin Anette Fugmann-Heesing, der Direktorin des hessischen Landeswohlfahrtsverbandes Irmgard Gärtner, der Frankfurter Soziologin Evelies Mayer und Christine Hohmann-Dennhard, die zur Zeit noch die Sozialdezernentin der rot-grün regierten Mainmetropole ist, hat Eichel nämlich sachkompetente Frauen als Alternative zur Wallmann'schen Männerriege im Angebot.

Ein Wahlkampf ohne Bodyguards

Doch seit der Pressekonferenz in Wiesbaden hat die Welt von Eichels Frauenriege nichts mehr gehört. Der Spitzenkandiat zieht solo seine Wahlkampfkreise — im weinroten Mercedes und ohne Bodyguards.

Sollte die SPD tatsächlich wieder stärkste Fraktion im hessischen Landtag werden, wird Eichel sich das nur mit einer gehörigen Portion Chuzpe auf die eigene Fahne schreiben können. Seine wahren Wahlhelfer sitzen im Kanzleramt in Bonn und hecken „einen Wahlbetrug nach dem anderen aus“ (Eichel). Hans Eichel weiß um die Durchschlagskraft solcher frei Haus nach Hessen gelieferter „Argumente“ aus der Bundeshauptstadt. „Die in Bonn, die lügen schneller als eine fette Sau laufen kann“, gehört zu den Standardsätzen des Wahlkämpfers Eichel — und wenigstens an dieser Stelle der emotionslos vorgetragenen Wahlreden des Kandidaten brandet regelmäßig Beifall auf.

Sollte die SPD am Sonntag tatsächlich wieder stärkste Fraktion im hessischen Landtag werden, wird Eichel sich das nur mit einer gehörigen Portion Chuzpe auf die eigene Fahne schreiben können. Seine wahren Wahlhelfer sitzen im Kanzleramt in Bonn und hecken „einen Wahlbetrug nach dem anderen aus“ (Eichel). Der Spitzenkandidat weiß um die Durchschlagskraft solcher frei Haus nach Hessen gelieferten Argumente aus der Bundeshauptstadt. „Die in Bonn, die lügen schneller als eine fette Sau laufen kann“, gehört zu den Standardsätzen des Wahlkämpfers Eichel — und wenigstens an dieser Stelle der emotionslos vorgetragenen Wahlreden des Kandidaten brandet regelmäßig Beifall auf.