Grausiges Paradox

■ Der gerechte und der heilige Krieg KOMMENTAR

Es kommt alles darauf an, ob die Kriegsgründe auch noch nach einem Krieg standhalten — diese Einsicht Bismarcks machte in den Tage vor dem Golfkrieg die Runde. Jetzt, nachdem der angekündigte Tod begonnen hat, ist die Frage nach dem Recht im Kriegsgrund keineswegs vertagt auf ein Danach, das irgendwann, nach ungeahnten Schrecken, kommen wird. Diese Frage beherrscht schon die ersten Minuten. Der Krieg hat begonnen mit einen grausamen Widerspruch, der im Rausch des High-Tech-Angriffs gewiß nicht die Aufmerksamkeit bekommen wird, die er verdient hat: Es ist der Widerspruch zwischen der routinierten moralischen Festigkeit von US-Präsident Bush und der abgrundtiefen Verzweiflung von Perez de Quellar. Bush zufolge haben sich die USA einer Aktion von 28 Nationen „angeschlossen“. Der Krieg ist die Konsequenz der Sanktionen. Die Völkergemeinschaft ist das Subjekt der Gerechtigkeit. Der Generalsekretär eben jener Vereinten Nationen hingegen, deren Willen Bush vollstreckt, formuliert fast an der Grenze der Sprachlosigkeit das Scheitern der Völkergemeinschaft. Ohnmacht oder Macht der Vereinten Nationen? Verbrechen Krieg oder Krieg gegen Verbrechen?

Die Weltöffentlichkeit ist gespalten. Erleichterung über eine erfolgreiche Waffenüberlegenheit und Lufthoheit streitet sich mit dem Entsetzen, daß die Schattenlinie wirklich überschritten wurde. Ein nur zu berechtigtes Entsetzen insbesondere gegenüber der US-Politik: So richtig konnte man es nicht glauben, daß das Ultimatum für das Weiße Haus nur ein Datum zum Countdown und nicht — wie es eigentlich sein sollte — ein absoluter Zwang zur Suche nach Verhandlungsmöglichkeiten, ein Auftrag zur Kriegsvermeidung war. Die Rede von Bush gibt jedenfalls keinen Hinweis, daß die Amerikaner etwas anderes wollten, als das Blatt, das sie von Anfang an in der Hand hatten, auszuspielen. An dieser Rede beunruhigt vieles, nicht zuletzt die unausrottbare Überzeugung, daß der militärische Erfolg uns alle einer „neuen Weltordnung“ nahe bringen werde. Kehrt hier nicht der alte amerikanische Traum wieder, daß die Gewalt (der Gerechten) die Moral konstituiert und mithin die Moral die Gewalt rechtfertigt? Die Inszenierung des Showdown als moralische Anstalt?

Diese Art des Entsetzens überwiegt hierzulande — aus einsichtigen historischen Gründen. Aber reicht sie aus? Ist es gerechtfertigt, in alte Schemata des Antiamerikanismus zurückzufallen? Was nützen Reflexionen über die Empfindlichkeiten von Saddam Husseins Gesicht? Liegt etwa nicht der Krieg in der Überlebenslogik des irakischen Diktators? Die Ausrufung des Heiligen Krieges und der Anspruch, der neue Kalif zu sein, ist nie ein rein propagandistisches Manöver gewesen. Er gehört in die Tradition der „arabischen Nation“. Nur dieser Krieg konstituiert sie. Und zum Heiligen Krieg gehören ebenso logisch die Märtyrer. Die Märtyrer sind die Massen. Je mehr Menschen sterben, desto heiliger der Krieg. Also wäre auch dieser Krieg gerechtfertigt, insofern er die Logik des Heiligen Krieges durchbricht? Aber kann er das? Wieviel Opfer sind nötig, um diesen Heiligen Krieg zu verhindern? Zeichnet sich nicht viel mehr ein grausames Paradox ab: daß sich die Vorstellungen des gerechten Krieges mit dem Heiligen Krieg ergänzen — im Unheil.

Die ersten Stunden dieses Krieges scheinen die Überlegenheit der westlichen Waffen zu bestätigen. Ein Moment der Erleichterung — aber wie lange wird er anhalten? Wird die Luftüberlegenheit des ersten Tages Saddam Hussein hindern, die Massen in den Opfertod zu führen — was offebar seinen Äußerungen zufolge seine Absicht ist? Und selbst wenn es einen „Blitzkrieg“ im Namen der guten Sache geben sollte, der Opfer unter der Zivilbevölkerung gering hält, macht dieses Ergebnis keine Hoffnung. Wird damit nicht gerade der Krieg als Mittel für den Konflikt zwischen der Dritten, der arabischen und der westlichen Welt wieder denkbar? Seit dem Vietnamkrieg war diese Art Krieg an den sozialen Rissen der Welt nicht mehr legitim. Wird nicht zudem der Erfolg der High- Tech-Kriegführung zu einem neuen Rüstungswettlauf führen? Und die „neue Weltordnung“? An welcher Stelle der letzten Monate des Ultimatums zeichnete sich überhaupt eine wirksame Idee ab. Selbst die Frage nach einer Nah-Ost Friedenskonferenz beschränkte sich allein auf die Regeln des Countdowns, auf die Frage, ob es ein Junktim geben solle oder nicht. Die Automatik mit der es vom Ende des Ultimatums zum Einsatzbefehl kam, ist doch nur möglich gewesen, weil es keine kraftvolle Idee einer neuen Friedensordnung gibt. Alle Fragen, die sich vor dem Ultimatum stellten, werden am Ende dieses Krieges wieder gestellt werden müssen — nach tausenden von Opfern. Klaus Hartung