Die verflixte sechste Kiste zeigt die Löcher im Embargonetz

Was das Kanzleramt als Erfolg der Exportkontrolle in Sachen Irak-Embargo ausgibt, zeigt gerade, wie lax diese bisher gehandhabt wurde  ■ Von Thomas Scheuer

Der für die Geheimdienste zuständige Kanzleramtsminister Lutz Stavenhagen präsentierte den Fang stolz als Beweis dafür, wie genau es die Bundesregierung mit dem UNO- Embargo gegen den Irak nehme: Auf dem Rhein-Main-Flughafen hatten Frankfurter Zollfahnder eine Kiste mit der Zentraleinheit eines Vakuum-Spektrometers beschlagnahmt. Sie sollte laut Stavenhagen von einer Schweizer Firma via Jordanien in den Irak geschleust werden (vgl. taz vom Mittwoch).

Doch gerade diese Kiste ist ein Beispiel dafür, wie laxe deutsche Exportgesetze und -kontrollen jahrelang die irakische Aufrüstung begünstigt, ja gefördert haben. Die jetzt mit großem Getöse beschlagnahmte Kiste im Frankfurter Frachtflughafen steht dort nämlich schon seit Juli rum. Und ohne die Dusseligkeit eines Hilfsarbeiters wäre der brisante High-Tech-Artikel auch schon längst in der irakischen Hauptstadt gelandet. „Wir suchen die Hintermänner der Schweizer Firma noch“, erklärten Zollfahnder noch am Mittwoch gegenüber der taz. Die sind mit Hilfe eines Handelsregisterauszuges und eines Telefonbuches allerdings nicht schwer zu finden. Der offizielle Firmensitz der „Advanced Technical Services“ GmbH (ATS) befindet sich in der schweizerischen Steueroase Zug hinter dem Türschild eines Treuhandbüros. Der Mehrheitsgesellschafter der ATS, der italienische Geschäftsmann Bruno Sciffo, betreibt seine Geschäfte von seinem Wohnort Nikosia aus. Eine klassische Zuger Briefkastenfirma also, was aber keineswegs heißt, daß die ATS keine Millionengeschäfte machen würde. Seit über 20 Jahren ist sie dick drin im Nah- und Fernostgeschäft.

Vor eineinhalb Jahren, so erläutert der kürzlich ausgeschiedene langjährige Geschäftsführer der taz, kam die ATS mit dem Hochschulministerium in Bagdad ins Geschäft. Die Irakis bestellten einen Vakuum- Spektrometer; dieses hochkomplizierte High-Tech-Gerät kann sowohl in der chemischer Produktion wie auch in der Atomindustrie Verwendung finden.

ATS wiederum orderte das Gerät damals ausgerechnet in den USA, die ihren Erzfeind Irak seit gestern mit Krieg überziehen. Die Firma Thermo Jarrell Ash Corporation in Franklin/Massachusetts lieferte prompt. Weder Firma noch Behörden hatten ob des sensitiven Charakters der Ware Bedenken, obwohl Saddam Husseins Ambitionen auf Chemiewaffen und Atombomben ja keineswegs erst seit dem Überfall auf Kuweit im letzten August bekannt sind.

Anstandslos schickten die Amis zwei Lieferungen von je sechs Kisten auf die Reise in den Irak, eine davon direkt von Boston nach Bagdad, die andere via Frankfurt am Main. Mit der Lufthansa traf letztere Mitte Juli aus Bosten in Frankfurt ein und wurde dort in einen Flieger der Iraqi- Airways umgeladen. Was bei ATS zunächst niemand merkte: Eine Kiste, just jene mit der Zentraleinheit der Anlage, blieb nur versehentlich in Frankfurt liegen.

Erst im September reklamierten die Irakis das Herzstück der Anlage. Doch mittlerweile war die verschlampte Kiste unter eine neue Rechtslage gerutscht: Wegen des im August verhängten Irak-Embargos der UNO hatte jetzt der Zoll den Daumen drauf. ATS-Inhaber Bruno Sciffo geriet zweifach unter Druck: Die Irakis verweigerten die Bezahlung der gesamten Anlage wegen der überfälligen Restlieferung; die Herstellerfirma in den USA, die ja vertragsgemäß geliefert hatte, bestand auf sofortiger Bezahlung.

Zunächst versuchten die ATS- Leute, auf legalem Wege die blockierte Kiste loszueisen. In Bern beantragten sie eine Ausnahme-Exportgenehmigung mit der Begründung, es handele sich um die Vollendung einer bereits vor dem UNO-Embargo angelaufenen Lieferung. Solche Ausnahmefälle waren im Embargo-Beschluß der Schweizer Regierung ausdrücklich vorgesehen. (Seit dem 7.August sind auch Vermittlungsgeschäfte schweizerischer Firmen im Ausland bewilligungspflichtig.) Doch wegen des sensitiven Charakters verweigerte das Wirtschaftsministerium in Bern am 23.Oktober sein Plazet.

Offenbar hat der finanziellen Ruin witternde Sciffo daraufhin versucht, die verflixte sechste Kiste unter Vorlage neuer Frachtpapiere nach Bagdad zu schleusen. Jetzt sollte die Kiste, auf der immer noch in großen Buchstaben die Destination „Bagdad“ prangte, plötzlich via Zypern nach Jordanien geflogen werden. Als Empfänger fungierte plötzlich die Speditionsfirma Aly Armouk Freight Services in Amman. Der Transport sollte am 4.Januar in Frankfurt abgehen. Der Trick war zu plump: Der Zoll beschlagnahmte die Kiste.

Sciffos tragisches Händlerpech ändert nichts an der Rechtslage: Danach hat die ATS versucht, das UNO-Embargo zu löchern. Auch Othmar Wyss, der im Bundesamt für Außenwirtschaft in Bern für die Einhaltung des UNO-Embargos zuständig ist, versicherte gegenüber der taz: „Sollte sich herausstellen, daß eine Schweizer Firma in den Versuch verwickelt war, dieses Gerät trotz Embargo in den Irak zu bringen, wird ein Verfahren eröffnet.“