Bush droht mit Saddams A-Bombe

■ Erst ignoriert, jetzt hochgespielt — Iraks Streben nach der Atombombe

Nicht zuletzt mit der Schreckensvision einer irakischen Atombombe operierte US-Präsident Bush während der propagandistischen Aufmarschphase am Vorabend des militärischen Schlages gegen Saddam Hussein. Damit spielte er eine Bedrohung hoch, die von den westlichen Geschäftsfreunden des Diktators von Bagdad in den letzten Jahren — ebenso wie dessen Kampfgas-Arsenale — beharrlich heruntergespielt wurde. Schließlich gingen vorwiegend westliche High-Tech-Söldner — erst die Kasse, dann die Moral — Iraks Generälen beim Griff nach der Bombe willig zur Hand.

Daß die Militärführung in Bagdad seit Jahren ein geheimes militärisches Atom-Programm betreibt, gilt unter Atomwaffen-Experten als sicher. Eines von zahlreichen Indizien war die spektakuläre Beschlagnahme von 40 Spezial-Zündern im vergangenen Frühjahr auf dem Londoner Flughafen. Der Irak selbst verwies dagegen stets auf seine Unterschrift unter den Atomwaffensperrvertrag und die internationalen Kontrollen. Die fallen jedoch mehr als dürftig aus: Ganze zwei Mal im Jahr reisen sogenannte Safeguards der Internationalen Atomenergie-Agentur (IAEA) in den Irak, um stichprobenartig die Bestände an Spaltmaterial in den zivilen Atomanlagen zu prüfen. Doch kein Safeguard kommt über die Schwelle jener geheimen Atomanlagen — vorwiegend im schwer zugänglichen Norden des Landes — in denen nach Einschätzung westlicher wie östlicher Geheimdienste Saddams Atomklempner mit der Herstellung waffenfähigen Spaltmaterials befaßt sind.

Wie nahe sie ihrem Ziel heute sind, ist die große Streitfrage unter den Fachleuten. Waffenfähiges Spaltmaterial kann technisch auf zwei Wegen gewonnen werden: Dem Erbrüten von Plutonium-239 (Plutonium-Bombe) oder der Hochanreicherung von Uran-235 auf über 90 Prozent (Uran-Bombe).

Beschlagnahmte Komponenten, die in den Irak geschmuggelt werden sollten, lassen den Schluß zu, daß der Irak den Weg der Hochanreicherung, also den technisch komplizierteren und teureren Weg, eingeschlagen hat. Die Anreicherung des Urans geschieht in Gaszentrifugen, röhrenförmigen Zylindern aus Spezialmetallen, die sich in rasender Geschwindigkeit um die eigene Achse drehen, wobei die Zentrifugalkraft die schwereren Uran-235-Moleküle in dem eingeleiteten Uran-Gasgemisch von den anderen, leichteren Uran- Isotopen trennt und konzentriert. Eine Anreicherungsanlage besteht aus tausenden solcher hochkomplizierter „Uran-Schleudern“. Im Sommer 1990 beschlagnahmten Zollfahnder auf dem Frankfurter Flughafen die für Bagdad bestimmte Lieferung einer Schweizer Firma; sie bestand aus Spezialmetallen, wie sie beim Bau von Gaszentrifugen nötig sind. Auch gegen deutsche Unternehmen wird wegen des Verdachts der illegalen Lieferung von Anreicherungstechnik in den Irak ermittelt.

Obwohl die irakischen Anstrengungen in jüngster Zeit spürbar intensiviert wurden, ist der Irak mit großer Sicherheit noch weit von der Serienproduktion von Atomwaffen entfernt. Der US-amerikanische Atomwaffen-Experte und langjährige IAEA-Safeguard Bob Sanders bereiste erst im vergangenen Frühjahr den Nahen Osten einschließlich des Irak und erstellte im UNO- Auftrag eine Studie über das atomare Gefahren-Potential in dieser Region. Danach wäre der Irak vermutlich erst in 10, frühestens in 5 Jahren zur Eigenproduktion einer Atombombe fähig gewesen. Th. Scheuer