Wieviel Angst ist jetzt gesund?

■ Viele Menschen reagieren auf den Krieg mit psychosomatischen Beschwerden/ Ein Gespräch mit der Psychologin Angelika Faas und dem Soziologen Dr. Thomas Krauß/ Beide arbeiten in der Familientherapie

taz: Das Grundgefühl vieler Menschen ist zur Zeit Angst. Kann man sich dieser Tage überhaupt »normal« verhalten?

Angelika Faas: Normalerweise kann man sich sowieso nur so verhalten, wie es die eigene Psychostruktur oder die eigene Neurose vorgibt. Im Augenblick gibt es ja eine ganze Menge angebotener Reaktionsmuster. Demonstrationen beispielsweise. Es wird zum Teil auf eine sehr ungewöhnliche Weise demonstriert. Da gibt es Scharen von Leuten, die ins Gebet versunken sind. Das ist eine ganz neue Form eines Verarbeitungsmusters.

Thomas Krauß: Angesichts dieses Krieges und der von den Medien lancierten Kriegshysterie treten psychische Mechanismen in Kraft, die bei anderen massiven Ängsten auch abgespult werden. Wenn Leute beten, dann ist daß ein psychischer Mechanismus. Man kommt auf einer rationalen, argumentativen Ebene nicht mehr weiter, was ja auch verständlich ist. Da wird, wenn man's mal salopp sagt, wieder ins magische Denken verfallen. Offenbar hilft nur noch die Anbetung von höheren Mächten. Die Leute erleben die Kriegsgefahr in höchstem Maße als subjektive Wirklichkeit und reagieren auf innere Ohnmachtsgefühle, auf Gefühle der Bedeutungslosigkeit, des Überwältigtwerdens. Sie reagieren auf den objektiven Tatbestand, daß dort ein Krieg abläuft, wie auf eine subjektive Wirklichkeit. Psychologisch vermute ich, daß wir alle so reagieren, wie wir das als Kinder in Panik und Angstsituationen gemacht haben.

Angelika Faas: Wenn Kanzler Kohl erklärt, nun helfe nur noch Beten, dann ist das ein merkwürdiges Kanzlerwort. Das, was uns normalerweise gepredigt wird — der rationale Verstand —, scheint außer Kraft gesetzt zu sein.

Bei den Friedensdemos zu Anfang der achtziger Jahre hatte man das Gefühl, real Einfluß auf die politische Entwicklung zu nehmen. Dieses Gefühl habe ich zur Zeit überhaupt nicht, ich kenne auch niemanden, der sich so fühlt. Sind die Demos zur Zeit nichts weiter als kollektive Angstverarbeitungen ohne konkrete Aussicht auf politischen Erfolg?

Thomas Krauß: Selbst die Kommentatoren im Fernsehen sagen, daß sie Angst haben. Die sind ihrer Psyche viel näher als sonst. Natürlich weiß jeder, daß eine Demonstration den Krieg nicht verhindern oder stoppen wird. Von daher könnte man sagen: Das ist genauso irrational wie das Beten. Jetzt kann man nur noch unterscheiden, welche Irrationalität einem sympathischer ist.

Welches Verhalten ist denn »gesund«?

Angelika Faas: Es ist natürlich richtig, seiner Angst Ausdruck zu verleihen und ihr damit Herr zu werden. Das ist möglicherweise das Hauptmotiv, warum so viele Leute zur Zeit an den Demos teilnehmen. Ich höre in letzter Zeit öfters, daß Leute sagen: »Am Montag geh' ich auf die Demo, am Dienstag auf die andere...«, fast mit so einer Art magischem Denken: »Wenn ich das tue, dann hab' ich was getan.«

Thomas Krauß: Das Gesunde ist, daß man das ausdrückt, was in einem ist, so irrational das dann sein mag. Die Gefahr besteht allerdings darin, daß sich in den Ausdruck wieder psychische Mechanismen einschleichen, die diese Anstrengung, Angst auszuhalten, schon wieder mildern. Zum Beispiel, daß die Wirklichkeit aufgespalten wird in Gute und Böse. Bei linken Demonstranten ist US-Präsident Bush ja schon fast der Hauptfeind. Natürlich ist er eine Gefahr. Wenn aber geleugnet wird, daß die Situation am Golf eine Dilemmasituation ist, dann halte ich das für nicht gut.

Eine andere Spaltung ist es, wenn plötzlich die Leute, die für den Frieden eintreten, für den Krieg verantwortlich gemacht werden. Das ist beispielsweise dem Psychoanalytiker und Friedensforscher Horst- Eberhard Richter passiert, als er in der RTL-plus-Sendung Heißer Stuhl mit Generälen diskutierte. Oder mein Zeitungsverkäufer, der mir sagte, daß »wir das da unten schon schnell in den Griff bekommen« würden und ihn das alles gar nicht berühren würde: eine klassische Verschiebung.

Der Protest wird im wesentlichen von Schülerinnen und Schülern getragen. Woran liegt das?

Angelika Faas: Ich glaube, daß die sensibilisierter sind. Die Generation der 15- bis 20jährigen erlebte Tschernobyl als einschneidende, erste und ernsthafte Lebensbedrohung. Ältere Leute sind resignativer.

Thomas Krauß: Erwachsene verfügen über sehr viel eingeschliffenere Abwehrmechanismen. Zweitens sind die Jugendlichen noch viel näher an ihrem vitalen Selbst dran, das natürlich bedroht ist. In ihren Aktionsformen sind die unbefangener: Wenn die sich beispielsweise an den Händen halten, löst das bei mir eher ein gewisses Unbehagen aus, was sicher mit meinem Alter zu tun hat. Sie vermitteln sich gegenseitig ein Gefühl von Geborgenheit. Ich glaube aber, daß man nicht sagen kann, daß die Älteren, die nicht auf Demos zu sehen sind, keine Angst hätten. Gerade die Tatsache, daß sie zu massiven Abwehrmechanismen greifen, zeigt, in welchem Maße sie sich unbewußt bedroht fühlen.

Wie wirkt sich die Kriegsangst noch aus?

Angelika Faas: Beispielsweise in psychosomatischen Phänomenen wie Schlaflosigkeit, Magen- und Kopfschmerzen, allen möglichen Irritationen der körperlichen Funktionsabläufe. Psychosomatisch reagiert man dann, wenn die psychischen Bewältigungsformen nicht ausreichen.

Was kann man gegen diese psychosomatischen Beschwerden tun?

Thomas Krauß: Wenn man davon ausgeht, daß psychische und psychosomatische Reaktionen bei einer Bedrohung völlig gesund sind, wäre es aberwitzig, sie zu bekämpfen. Die einzige »gesunde« Möglichkeit ist es, Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Also: Kommunikation. Demonstrationen sind genauso wie Gebete intensive Kommunikationsformen. Auch Träume übrigens: Da kommuniziert das Unbewußte mit uns. Oder, um Adorno zu zitieren: »Die objektive Welt nähert sich dem Bild, das der Verfolgungswahnsinnige von ihr entwirft.« Gemessen daran sind Alpträume harmlos. Interview: CC Malzahn/

Ute Scheub