Der Alptraum vom Feuerball

■ taz-LeserInnen gaben Auskunft über ihre Angstträume vom Krieg/ Die nächtlichen Horrorszenarien sind nicht surreal, sondern sehr konkret/ Feuer taucht immer wieder auf

Nachts um halb eins haben wir die große Freiheit: Entweder wir gehen ins Bett und warten auf den großen Feuerball, der uns im Traum erscheint, oder wir bleiben wach und schalten CNN ein. Da haben wir den Alptraum live. Was uns mehr Angst macht, können wir gar nicht mehr genau sagen. Die Grenzen zwischen von unserem Unterbewußten phantasiertem Horror und per Satellit übertragenem realem Terror sind heute fließend.

Die taz wollte von ihren LeserInnen wissen, ob sich der Schrecken des Krieges schon in ihren Schlaf geschlichen hat. Ein halbes Dutzend meldeten sich daraufhin telefonisch und diktierte uns die »Erlebnisse« in den Computer. Das Ergebnis dieser »Untersuchung« ist natürlich nicht repräsentativ. Trotzdem verblüffend: Die LeserInnen, die sich meldeten, haben fast alle das »gleiche« geträumt. Besonders auffällig: Die Alpträume über den Krieg sind nicht surreal, sondern sehr konkret.

Ein 30jähriger Leser aus Kreuzberg träumte in der Nacht, als der Krieg begann, von Öl-Pipelines in Alaska. Die hat er schon einmal wirklich gesehen, als er vor zwei Jahren in Nordamerika Urlaub machte. Ungefähr zu der Zeit, als das Bombardement auf Bagdad begann, explodierten die Pipelines in seinem Kopf. »Da war ein riesiger Feuerball!« erinnert er sich, »dann bin ich schweißgebadet aufgewacht und konnte nicht mehr schlafen.«

Eine 28jährige Leserin aus Schöneberg hatte Ähnliches vor ihrem geistigen Auge. Sie verlagerte das Geschehen ganz realistisch in die Wüste. Dort sei sie von aufsteigenden Raketen verfolgt worden. Richtig unangenehme Gefühle habe sie deshalb bekommen: Sie sei gelaufen und gelaufen, habe sich aber nicht vom Fleck weg bewegen können. Als die Raketen hinter ihrem Rücken explodierten (»Da hab' ich mich noch umgedreht und den Feuerball gesehen!«), sei sie aufgeschreckt. Ein klassischer Verfolgungstraum. Auch bei zwei weiteren Leserinnen endete der Alptraum mit Feuer und Explosion — zwei Symbole, die in diesem Kontext ganz klar für Bedrohung stehen. Auch über die Bedeutung der Raketenverfolgung — klassisches Phallussymbol — braucht man nicht lange zu rätseln.

Nicht über nachts, sondern am Tag eintretende Wachträume berichtete eine bekannte Berliner Feministin, die lieber ungenannt bleiben möchte. Ständig fielen ihr die schon zu Beginn der 80er Jahre diskutierten und phantasierten Horrorszenarien des Krieges ein: nuklearer Winter, aufsteigende Atompilze, riesiges Ozonloch. Sie sei »total deprimiert«, unter anderem deshalb, »weil ich mir solche Illusionen über die Männergesellschaft gemacht habe«. Den Krieg am Golf findet auch sie schrecklich — doch nach der Besetzung Kuwaits habe auch sie Gewaltphantasien gehabt. »Das war eine Vergewaltigung. Da hab' ich mir schon gewünscht, das irgendwer diesen Hussein impotent macht!«

Träume vom Krieg müssen nicht unbedingt mit Krieg zu tun haben. Eine 29jährige Kreuzbergerin erinnert sich an einen »immer wiederkehrenden Traum«, in dem zwei Düsenjets in der Luft aufeinanderprallen und explodieren. Auch Atompilze habe sie schon »gesehen«. Das habe aber eher was mit »verdrängten Aggressionen« zu tun als mit Militärphobie, meint sie. Die besten Deutungen kommen übrigens nicht vom Psychologen, sondern von denen, die selbst geträumt haben.

Feuerbälle, Atompilze, Düsenjets, Öl, Pipelines und Wüste: »Der Traum zeigt das wirkliche, wenn auch nicht das ganze Wesen des Menschen«, heißt es bei Sigmund Freud, der von Bierkellern, Höllenmaschinen, der deutschen Sozialdemokratie, einäugigen Kinderärzten, zweideutigen Angeboten und Revolutionen träumte. Das müssen damals vergleichsweise angenehme Zeiten gewesen sein. ccm