Frieden oder rettet Israel

■ Kriegsangst und Freiheitsliebe lassen sich nicht gegeneinander ausspielen KOMMENTARE

Diejenigen, die den Krieg nicht wollen, und diejenigen, die wollen, daß Kuwait befreit wird, haben sicher nicht nur aneinander vorbei geredet und gedacht. Aber der Unterschied von Moral und Wertvorstellungen allein erklärt nicht, daß es zwischen beiden Positionen weltweit und hierzulande nicht einen Funken von Kontroverse, keinen Ansatz von öffentlichem Streit gibt. Es kommt eben hinzu, daß beide Lager eine andere Art von Krieg vor Augen hatten. Diejenigen, die Frieden über alles setzten, glaubten nicht an die Begrenzbarkeit einer militärischen Operation. Die Befreiung Kuwaits vom Diktator Hussein konnte nur dann ein ausreichender Kriegsgrund sein, wenn man nicht einen Krieg der Massenvernichtungsmittel und der Massenvernichtung vor Augen hatte — kurz: wenn es militärisch möglich wäre, den Krieg der UNO und nicht den Krieg Saddam Husseins zu führen. Daher die Erleichterung nach ersten Angriffswellen: Die Präzisionskriegsführung schien zu garantieren, daß trotz der Massenvernichtungsmittel der Primat der Politik denkbar erscheinen konnte.

Die Raketen auf Israel haben das Bild abrupt geändert. Schon vor Kriegsbeginn war klar, daß der Charakter des Krieges zwischen Israel und dem Irak bestimmt wird. Schon die drei Raketen, die Israel getroffen haben, beweisen, daß es für das Land durch die Allianz und durch die hochmodernen Waffensysteme nicht die Sicherheit gibt, auf der es durch Erfahrung beharren muß. Saddam Husseins Kriegsziel ist auch noch dann erreichbar, wenn er aus den Trümmern seines Landes die arabische Welt zum Brennen bringt. Daß Israel durch einen Gegenschlag Husseins Kalkül erfüllt, ist nur taktisch richtig. Ein Verzicht auf einen Gegenschlag jetzt erhöht dabei die Wahrscheinlichkeit für den nächsten Raketenangriff. Und welche politischen Garantien hat Israel, die mehr Sicherheit als die eigene militärische Macht geben? Kann Israel ein Kriegsende akzeptieren, das die Befreiung von Kuwait und die Angreifbarkeit des jüdischen Staates gebracht hat? Ist nicht das die beste Voraussetzung von Nachfolgekriegen?

Der Krieg steht am Wendepunkt: Kriegsangst der Friedensbewegten droht jetzt zur Realität zu werden. Wer jetzt Kriegsangst gegen Freiheitsliebe ausspielt, nimmt Züge eines moralischen Kretins an. Aber dennoch, gerade weil sich die Schreckensträume zu erfüllen scheinen, droht die Friedensbewegung blind zu werden, wenn sie fortfährt, die USA und die Ölmultis anzuklagen. Denn dieser Krieg, der jetzt droht, ist schon ein deutscher Krieg, ein Krieg deutscher Tüchtigkeit in Sachen Massenvernichtungsmittel. Die Friedensbewegung steht an diesem Punkt vor der Frage: Frieden oder rettet Israel.

Klaus Hartung