Hohelied auf US-Truppen

Der erste Tag des Krieges gegen den Irak mit seiner „Erfolgsbilanz“ fürs Pentagon hat in den USA einen Stimmungsumschwung bewirkt  ■ Aus Washington Rolf Paasch

Es werde in diesem Krieg noch „auf und ab gehen“, so hatte der Oberbefehlshaber der amerikanischen Truppen, US-Präsident Bush, am Donnerstag die schon siegestrunkene Presse vor einer Überschätzung der ersten militärischen Erfolge gewarnt. Nur Stunden später brachte der irakische Raketenangriff auf Israel auch die öffentliche Meinung in den USA — zumindest vorübergehend — wieder aus den Wolken über dem Irak auf den Boden der Kriegstatsachen zurück. Betroffen reagierten die US-BürgerInnen auf den verzweifelten Versuch Saddam Husseins, die bis dato einseitigen militärischen Auseinandersetzungen zwischen den USA und dem Irak in einen regionalen politischen Konflikt auszuweiten.

Besonders unter amerikanischen Juden rief die Meldung vom Einschlagen irakischer „Scud“-Raketen in Tel Aviv und Haifa eine Reaktion hervor, die aus einer Mischung aus Schock, Furcht und Wut bestand. Sofort wurde von ihren politischen Vertretern der Wunsch nach Vergeltung geäußert. Die Experten in den 24stündigen Fernseh-Sondersendungen diskutierten gleich die potentiellen Folgen für den Zusammenhalt der alliierten Koalition. Vor dem irakischen Gegenschlag hatte sich in den USA gerade eine Kriegseuphorie breit gemacht, nachdem die US- Piloten mit einer Erfolgsmeldung nach der anderen auf ihre Stützpunkte zurückgekehrt waren. Gehorsam beteiligten sich auch die vom Pentagon vor Ort zensierten Journalisten und die Kommentarschreiber an der „Heimatfront“ am Lob für Truppen und Kriegsmaterial.

Die neue „Nintendo-Generation“ im Cockpit der US-Kampfflugzeuge wurde schon bewundert wie einst die Piloten der „Spitfires“ nach der Luftschlacht über England. Die pensionierten Lehnstuhlgeneräle in den Fernsehstudios sahen schon „ein neues Paradigma des Krieges“ gekommen, in dem den Bodentruppen in Zukunft nur noch eine nebensächliche Rolle zukomme. Vor allem die angeblich 90prozentige Trefferausbeute der „Tomahawk“-Marschflugkörper sowie der Abschuß einer „Scud“-Rakete durch das Flugabwehrsystem „Patriot“ haben den kollektiven Stolz auf das neue High- Tech-Arsenal der US-Streitkräfte gestärkt. Endlich, so der allgemeine Tenor, wisse man, wofür unter Reagan drei Billionen Dollar für Aufrüstung ausgegeben worden seien. Die Rüstungsindustrie hat sich über Nacht vom Prügelknaben zum Liebling der Nation verwandelt.

Nach der Phase des Zweifels über die Notwendigkeit dieses Krieges scheint dieses neue kollektive Selbstbewußtsein auch in der Bevölkerung um sich zu greifen. Die Telefonleitungen lokaler Radio-Talkshows, die bis zum Kriegsbeginn noch überwiegend kritische Anrufe erhielten, werden nun von Patrioten blockiert, die wieder stolz auf Amerika sein können. „Einen solchen Meinungsumschwung habe ich noch nie erlebt“, kommentierte Gil Gross von der New Yorker Radiostation WOR die neue Situation. „Es herrscht Begeisterung darüber, daß dieses Land endlich wieder funktioniert, daß die Waffensysteme arbeiten und sich die militärische Kommandostruktur als ausgezeichnet erweist“, versucht der Moderator des Bostoner Lokalradios WRKO die umgeschlagene Stimmung zu erklären.

Wie lange die Loyalität mit dem Präsidenten die jetzt verdrängten Zweifel vieler Amerikaner überdekken wird, hängt einzig und allein von den menschlichen Kosten des Krieges ab. Allein ein von vielen befürchteter Terroranschlag im Herzen der USA könnte die öffentliche Meinung eben so schnell wieder umkippen lassen. Es ist, als bedürfe es Kriegsopfer, um tieferliegende Zweifel in der Bevölkerung wieder an die Oberfläche treten zu lassen.

Trotz dieser patriotischen Ausbrüche gibt sich auch die amerikanische Friedensbewegung optimistisch. Verglichen mit dem Vietnamkrieg fanden schon bei Kriegsausbruch ebensoviele Demonstrationen statt wie damals erst nach Jahren des bewaffneten Konflikts. Nur ist die Aggressivität der damaligen Proteste heute einem verständnisvollen Umgang mit den eigenen Truppen gewichen. „Love the Troops, Hate the War“, so der Slogan, mit dem in New York und in San Francisco am Donnerstag wieder Tausende auf die Straße gingen. Auch in kleineren Städten wie in St. Cloud, Minnesota, räumte die Polizei immer wieder Demonstranten ab, die vor dem jeweiligen Bundesgebäuden gegen die Kriegspolitik der Bush-Administration protestierten.

Ein Sprecher der Kriegsgegnerkoalition in San Francisco hoffte, daß der irakische Schlag gegen Israel die Friedensbewegung in den USA stärken werde, weil damit nur noch einmal die Gefahr einer regionalen Eskalation des Krieges deutlich geworden sei.

Unterdessen wird von jüdischen US-BürgerInnen diskutiert, wie Israel auf die irakische Provokation reagiert. Eine Mehrheit der US-Juden scheint sich dabei für israelische Vergeltungsschläge auszusprechen. Anders die Vertreter der kleinen jüdischen Linken. Die für ihn unerwartete Selbstbeherrschung der Shamir- Regierung, so der stellvertretende Herausgeber der Zeitschrift 'Tikkun‘, Craig Somberg, am Donnerstag abend, „läßt mein Herz vor Freude springen“.