Die Türkei ist für den Kriegsfall gerüstet

■ Nach der Kriegsermächtigung durch das Parlament kann die Türkei jederzeit in den Krieg eintreten

„Die Türkei ist die zweite Front. Der Luftwaffenstützpunkt Incirlik ist im Krieg“, lautet die Schlagzeile der linksliberalen Tageszeitung 'Cumhuriyet‘. „Wir sind auf dem Weg in den Krieg“, titelt 'Milliyet‘. „Wir bereiten uns auf den Einmarsch in den Irak vor“, kündigt die Zeitung 'Sabah‘ an. In der Nacht von Donnerstag auf Freitag starteten 25 US- Flieger vom Typ F-15 und F-16 vom Luftwaffenstützpunkt Incirlik, einem der größten Luftbasen im Nahen Osten, Richtung Irak. Freitag morgen verließen erneut mit Bomben beladene Kriegsflugzeuge den nahe der Stadt Adana gelegenen Stützpunkt. Während der türkische Kommandant des Stützpunktes von „Übungsflügen“ sprach, berichteten Augenzeugen, daß die Bomber den türkischen Luftraum verlassen haben.

48 US-Kriegsflugzeuge sind kurz vor Ausbruch des Golfkrieges in Incirlik stationiert worden. Zuverlässigen Quellen zufolge soll es zu größeren Explosionen und anschließenden Bränden in der nordirakischen Stadt Zaho gekommen sein, nachdem die Bomber aus Incirlik starteten.

Die türkische Regierung hatte am Donnerstag nachmittag vom türkischen Parlament die Vollmacht erhalten, in den Krieg einzutreten. Nach der Vorlage, die gegen die Stimmen der Opposition verabschiedet wurde, kann die Türkei eine zweite Front gegen den Irak eröffnen. Nach der Vorlage kann die türkische Regierung Truppen ins Ausland schicken und in der Türkei stationierten ausländischen Flugzeugen die Erlaubnis erteilen, Bombenangriffe auf den Irak zu starten. Die Luftwaffenbasen Incirlik, Diyarbakir und Erhac, wo die mobile Einsatztruppe der Nato stationiert ist, sind dabei von zentraler Bedeutung.

Während der Parlamentsdebatte kam es zu großen Tumulten in der „Nationalversammlung“. Die Oppositionsparteien griffen Staatspräsident Turgut Özal erbittert an. „Diese Vorlage ist nichts weiter als die Eröffnung einer zweiten Front. Wozu sind die 48 US-Kriegsflugzeuge in Incirlik? Wenn ihr in den Krieg wollt, sagt es doch offen und überlaßt nicht die Entscheidung des Kriegsbeitritts anderen“, sagte der sozialdemokratische Oppositionsführer Erdal Inönü. Der konservative Oppositionsführer Süleyman Demirel sprach davon, daß die Regierung die Türkei systematisch in den Krieg treibt. Demirel spielte darauf an, daß Özal US-Präsident Bush vollends ergeben ist: „Man ist nicht kriegslüstern, weil man irgendwem etwas versprochen hat. Die Nation zahlt schließlich die Rechnung.“ Pfiffe erntete der türkische Ministerpräsident Yildirim Akbulut, als er die Vorlage mit der rhetorischen Frage „Verteidigt die Opposition die Interessen des Iraks oder der Türkei?“ verteidigte. In der Türkei herrscht eine breite Antikriegsstimmung, und die kriegsbesessene Politik von Staatspräsident Özal und der Regierung stößt in der Bevölkerung auf wenig Gegenliebe.

In der Kabinettssitzung unmittelbar nach der Ermächtigung durch das Parlament wurde der türkische Generalstab angewiesen, „im Bedarfsfall den ausländischen Militäreinheiten die Erlaubnis zu gewähren“ — ein Triumph für Staatspräsident Özal, der von Anfang an ein stärkeres Engagement der Türkei wünschte: „Nach dem Krieg wird die Türkei größer und stärker dastehen.“ Im US-Sender CNN erläuterte er, was die Entscheidung bedeutet: „Nach der Ermächtigung durch das Parlament können die Allierten den türkischen Luftraum nützen. Die Entscheidung liegt nun beim US-Generalstab.“

Dem Präsidenten nahestehende Kreise schließen nicht aus, daß die Türkei nicht nur in naher Zukunft eigene Kriegsflugzeuge gegen den Irak einsetzen wird, sondern auch unter alliiertem Kommando türkische Bodentruppen in den Nordirak schicken wird. Seit Beginn der Golfkrise wurden 100.000 türkische Soldaten an der irakischen Grenze stationiert. Und täglich wird weiter aufgerüstet. In den kurdischen Regionen, die die Grenze zum Irak bilden, herrscht seit Jahren ein blutiger Bürgerkrieg zwischen der türkischen Armee und der kurdischen Guerilla PKK. Noch vor wenigen Jahren bombardierten türkische Flugzeuge mit Einverständnis des Iraks kurdische Stützpunkte im Nordirak. Offensichtlich begreift Staatspräsident Özal den Golfkrieg als Möglichkeit, die politisch-militärische Rolle der Türkei im Krisengebiet zu stärken und endgültig mit dem kurdischen Widerstand abzurechnen.

Cizre, in der Nähe der irakischen Grenze, ähnelt einer Geisterstadt. Kaum ein Mensch ist tagsüber auf den Straßen. Nachts wird verdunkelt. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung in den grenznahen Städten und Dörfern hat die Region Richtung Westen verlassen. Die kurdische Bevölkerung erfährt überhaupt nichts von Zivilschutzmaßnahmen. Während Parlamentariern im fernen Ankara und den ausländischen Kriegsberichterstattern Gasmasken ausgeteilt wurden, bleibt der Masse der Bevölkerung nur eins: zu Hause fernzusehen und abzuwarten. Ömer Erzeren, Istanbul

Das Kurdistan-Komitee in der BRD dementiert die in der gestrigen taz- Ausgabe aufgestellte Behauptung, nach der die kurdische Guerillaorganisation PKK im Falle eines Kriegseintritts der Türkei auf der Seite des Iraks kämpfen werde.