Letzter Friede für frühere AL-Linke

■ PDS-Parteitag: Ex-ALer loben Parteifrieden/ PDSler beklagen »Selbstzerfleischung«

Berlin. Wenn der ehemalige AL-Politiker Dirk Schneider über seine neuen politischen Mitstreiter spricht, dann kommt er ins Schwärmen. »Sehr kameradschaftlich« seien die Umgangsformen in der PDS-Fraktion im Abgeordnetenhaus, »ganz anders als bei den Grün- Alternativen«.

Am Samstag trafen sich Schneiders neue Kameraden zum ersten Parteitag seit der Wahl. Parteichef Wolfgang Adolphi nutzte die Gelegenheit, um der Fraktion hohe Bedeutung zu bescheinigen. Sie sei »eine Art Herzstück« der Zusammenarbeit zwischen PDS und linken Politikern aus dem Westen. Freilich, das mußte Adolphi einräumen, sind die zwei Herzkammern unterschiedlich groß: Neben Schneider gibt es nur drei weitere Westberliner in der Fraktion, darunter Harald Wolf, früher ebenfalls AL-Politiker. Eigentlich sollten sich in der PDS-Fraktion Westler und Ostler zahlenmäßig die Waage halten, die unerwartet hohe Zahl an Direktmandaten vereitelte diese Pläne. Trotzdem empfindet Schneider die Zusammenarbeit als »erfrischend und positiv«. Vor allem der friedlichere Ton unter den Genossen und Genossinnen hebe sich positiv ab von dem Dauerstreit bei Grünen und Alternativen, meint Schneider. Bei der PDS, hat Schneider beobachtet, herrsche »mehr Vertrauen in den anderen, in die Organe und die Leitung«. Es fehle die »strömungspolitische Zerklüftung« der Alternativen, bestätigt Wolf. Der Friede hat natürlich seine Kehrseite. Den Parteitag verließ Schneider vorzeitig: »Es war einfach zu langweilig«, bekennt der Kreuzberger.

Die Kluft zwischen Ostlern und Westlern ist groß. Auf demselben Parteitag, den Schneider als langweilig empfand, beklagten sich Debattenredner über die »Zerfleischung und Selbstzerfleischung«, die hier stattfinde: Einige Mitglieder hatten tiefgreifendere Diskussionen über die »Befindlichkeit« der Partei und über ihre neue Rolle im über das Land hereingebrochenen Kapitalismus verlangt. »Sehr aufgeregt« erschienen auch dem Berliner PDS- Chef Wolfgang Adolphi die Parteitagsdebatten. Die Zusammenarbeit mit den Westlern hingegen empfindet er als »ausgesprochen fruchtbringend«. Auf den Feldern von Ökologie und Feminismus könnten die Ex- Alternativen helfen, mit »Provokationen bester Art« die Defizite der Partei zu beheben. Schließlich hatte es die PDS nicht einmal für nötig befunden, einen Ökologieexperten aus den eigenen Reihen in das Landesparlament zu hieven.

Doch die Linken aus dem Westen verlangen von der Partei mehr: ein weit offensiveres Auftreten zum Beispiel, etwa bei Protestaktionen gegen den Golfkrieg. Die vom schlechten Gewissen geplagten Ost-Genossen dagegen wollen eher den Rat von Marion Selig beherzigen, die als Mitglied der Vereinigten Linken auf der PDS-Liste ins Abgeordnetenhaus einzog: »Man muß sich überall ein bißchen zurücknehmen«, warnt Selig die PDS angesichts deren unseliger Vergangenheit.

Die stärkste der Parteien ist die PDS nicht mehr, wohl aber die mitgliederstärkste der Stadt. Mit über 50.000 eingeschriebenen Genossen und Genossinnen übertrifft sie sowohl SPD als auch CDU bei weitem. Der Aderlaß freilich hält an. Vor allem seit dem 2. Dezember verließen viele Mitglieder die Partei, weil sie am Arbeitsplatz unter Druck gerieten, berichtet Adolphi. Und bisher gebe es in der Kartei ganze 100 Mitstreiter mit Westberliner Wohnsitz. Ob es dabei bleibt, wird sich im Februar zeigen. Dann will die Partei in West-Berlin eine »Gründungskonferenz« veranstalten. PDS-Kreisverbände auch im Westteil der Stadt könnten das Ergebnis sein. Es gehe, entrutschte es einem Parteitagsredner, um die »Ausdehnung in die Westsektoren der Stadt«. Hans-Martin Tillack