ZWISCHEN DEN RILLEN

■ Nicht für die Industrie sondern für die Seele

I'm a woman hard to handle, if you need to handle things. Better run when I start coming. I got thunder and it rings.“

Die 1930 geborene Sängerin Abbey Lincoln ließ sich tatsächlich nur ganz am Anfang ihrer Laufbahn, als Clubsängerin in den fünfziger Jahren , vom Musikbusinnes „handeln“, streifte diese Zwänge aber nach und nach ab, um zu neuem Selbstverständnis zu finden. Die knapp 30jährige, die sich in ihrer Phrasierung an Billie Holiday orientiert, aber auch bewußt an das Erbe der klassischen Blues Queens anknüpft, wurde auf ihren ersten Platten von Stars wie Sonny Rollins und Kenny Dorham begleitet. Mit Max Roach, einige Jahre ihr Ehemann, machte sie drei Aufnahmen, die schwarzen Stolz, schwarzes Selbstbewußtsein, schwarze Ansprüche neu zum Ausdruck brachten: We Insist! Freedom Now Suite, Straigt Ahead und Percussion Bittersweet. Und schon galt sie bei der Musikindustrie als zu schwierig und zu radikal. „Wir drückten nur unsere Gefühle aus, und wenn die Musikindiustrie davor Angst hatte — was sollte ich dagegen tun? Ich tat's nicht für die Industrie, ich tat's für mich, für meine Seele“, sagt sie heute.

Fast über die gesamten siebziger Jahre blieb sie abseits der Musikszene, machte Theater und community-Arbeit in schwarzen Gemeinden. Seit einigen Jahren nimmt sie wieder Platten auf und geht auf Tournee.

Natürliches Selbstbewußtsein und Souveränität zeichnen auch ihre neue Platte The World is Falling down aus. Alles wirkt unangestrengt und selbstverständlich, auch die Combo-Arrangements und die lässigen Soli des Trompeters Clark Terry und des Altsaxophonisten Jackie McLean. Die Stimme Abbeys ist tiefer geworden im Lauf der Jahre, vibrierend wie von unterdrückten Emotionen. Nicht direkt und von strahlender Klarheit, sondern verhangen, wie ein bißchen müde vom Leben. Sie knautscht und dehnt die Vokale, verzerrt sie spöttisch und illustriert so Textzeilen wie in High Fly: „Everybody's down ... acting phoney, while they fly high.“ Wie sie in You must believe in spring die Eröffnungszeile singt („When lonely feelings chill the meadows of your mind“), läßt frösteln; sie setzt chill ab vom übrigen Text, aber sie wispert es nicht, zischt es nicht, wie man erwarten könnte, sondern läßt für einen Moment die Stimme tief absacken, dann den Bruchteil einer Sekunde aussetzen ...

Ihr Song I Got Thunder and it Rings strahlt Wärme und Kraft aus, ganz ohne Powerplay, ein Song über ihre Liebe und Stärke, der das Mit- Fühlen leicht macht. Eine Platte für Winterabende, in Auswahl der Standards und eigener Songs und Interpretation voll melancholischer Gelassenheit.

Abbey Lincoln: „The World is Falling down“, Verve 843 476-2.

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