Das dunkle andere

■ Mit Salman Rushdie sprach der moslemische Gelehrte Akbar Ahmed in London

Akbar Ahmed: Viele Muslims sind immer noch der Ansicht, keiner der Ihren dürfte mit Ihnen sprechen. Ich habe mich zu diesem persönlichen Kontakt bereiterklärt, weil ich hoffte, ein klein wenig zu einer Harmonisierung beitragen zu können. Zuerst aber möchte ich wissen: Sind Sie ein Moslem?

Salman Rushdie: Ja, sicher.

Was hat Sie veranlaßt, Ihren islamischen Glauben zu bekennen? War der Auslöser ein spezielles Erlebnis, ein religiöse Erfahrung? Hat sich Ihre Überzeugung über einen längeren Zeitraum entwickelt oder sind Sie unter Druck konvertiert, aufgrund der Zwangslage, in der Sie sich befanden?

Natürlich war es nicht Zwang. Das wäre dumm und unehrlich. Man lebt mit seinem Glauben bis zum Ende des Lebens. Nicht ehrlich über die tiefsten spirituellen Erlebnisse zu sprechen, bedeutet letzlich eine viel längere Gefangenschaft. Meine Bücher haben immer schon ihre innerste Inspiration aus der moslemischen Kultur bezogen, von meinem ersten Roman an, dessen Themen aus dem Suffismus kamen. Sogar mein neuestes Kinderbuch (siehe Literataz vom 4.10., d.Red.) erhält seine Inspiration vom größten Klassiker der moslemischen Literatur, nämlich „Tausendundeine Nacht“. Der Islam ist weit interessanter als alle anderen Religionen, weil man ihn nicht nur als ein theologisches und spirituelles, sondern auch als ein historisches und menschliches Ereignis studieren kann.

Sie hatten einen moslemischen Namen, Sie wuchsen in einer moslemischen Familie auf. Wieso haben Sie sich früher ausdrücklich als Nicht-Moslem bezeichnet?

Nun, praktisch war meine Familie nicht religiös. Es gab keine Gespräche über Religion in meinem Elternhaus, und es gab niemanden, mit dem ich darüber hätte reden können, als ich in England zur Schule und zum College ging. Ich habe mich diesbezüglich erst als Erwachsener engagiert. Ich habe mich langsam und über einen langen Zeitraum darauf zubewegt. Es ist ein Zitat von Dostojewsky überliefert, als er ebenfalls sehr knapp sozusagen einem Feuerkreis entronnen war, nach einer langen, schwierigen Periode des Gefangenseins; während dieser Zeit schrieb er einen Brief an einen Freund, in dem er sagte — ich zitiere sinngemäß — der Geist dürste nach Glauben wie vertrocknete Erde und finde ihn, weil die Wahrheit im Unglück am hellsten scheint. Nun denke ich, etwas in dieser Art trifft auch auf mich zu. Und ein letztes Ereignis, das mich wohl sehr stark beeinflußt hat: Dr.Essawy überzeugte mich, daß ein Mensch nicht ein vollkommener Moslem sein muß, der sich als Moslem bekennt, denn schließlich sind die meisten Moslems nicht vollkommen. Man könnte sogar sagen, daß es selbst Unvollkommenheit bedeutet, Vollkommenheit zu fordern.

Obwohl ich persönlich darauf vorbereitet bin, ein Glaubensbekenntnis von Angesicht zu Angesicht zu akzeptieren, gibt es Ihnen gegenüber viel Skepsis — ganz anders als im Fall des Boxers Muhammed Ali oder des ehemaligen Popsängers Yusuf Islam, denen die moslemische Glaubensgemeinschaft mit grenzenloser Freude ein Willkommen bereitete. Was glauben Sie, welche falschen Signale haben Sie ausgesandt?

Teilweise hat es wohl ganz einfach mit der Bitterkeit und Feindseligkeit der letzten beiden Jahre zu tun. Aber — wir können darauf gleich zurückkommen — ich versuche alles, um über diese Feindseligkeit und Bitterkeit hinwegzukommen. Ich hoffe, daß auf die Dauer der Zynismus verschwinden wird. Dann es ist vielleicht auch so, daß meine natürliche Art der Sprache manchmal nicht einfach genug ist, teilweise vielleicht, wenn ich so sagen darf, weil ich nicht zu viel auf einmal fordern will. Wenn beispielsweise jemand fragt, ob ich versuchen werde, ein guter Moslem zu sein, und ich antworte, ich hoffe das — dann taucht die Frage auf, was ich damit meine: „ich hoffe das“? „Sind Sie's, oder sind Sie's nicht?“ Es ist einfach so: alles was ich gesagt habe, habe ich aufrichtig gesagt, in gutem Glauben.

Jetzt, da Sie Moslem sind und die Dinge gewissermaßen mit moslemischen Augen sehen: was halten Sie von den Passagen aus den „Satanischen Versen“, die für die Moslems eine solche Kränkung bedeuteten?

Dazu gibt es eine Menge zu sagen. Erstens — was ich immer gesagt habe und immer noch sage und von dem ich hoffe, daß die Leute es irgendwann akzeptieren: wie immer man diese Stellen im Text empfindet, ihre Intention war weit davon entfernt, den Islam zu diffamieren. In meiner ersten Stellungnahme am Weihnachtsabend wollte ich klar und unmißverständlich zum Ausdruck bringen, daß alles, was in den „Satanischen Versen“ als feindselig oder verletzend gegenüber den heiligen Inhalten des Islam verstanden werden könnte, Material darstellt, mit dem ich persönlich nicht übereinstimme. Die Ideen, die in diesen Passagen ausgedrückt werden, die feindseligen Ideen in diesen Passagen lehne ich als Person und als Schriftsteller absolut ab. Ich denke, daß ich das Buch mit Sicherheit anders geschrieben hätte, wenn ich damals schon Moslem gewesen wäre, selbstverständlich, darüber gibt es überhaupt keine Diskussion

Damals wurde jeder moslemische Protest von den Medien verstanden bzw. mißverstanden als einer von Fundamentalisten oder Extremisten. Aber tatsächlich fühlte sich der durchschnittliche, normale Moslem, jemand wie ich, der normalerweise nicht an Gewalt glaubt, genauso angegriffen.

Ich akzeptiere, daß ich eine Menge Leute provoziert habe, die, wie Sie sagen, überhapt nicht gewalttätig oder gewaltbereit waren, und ich meine, daß ich immer wieder gesagt habe, daß mir das ungeheuer leid tut, und ich würde das immer wieder sagen. Ich betrachte das nicht als einen Konflikt zwischen westlicher Rationalität und östlicher Irrationalität und so weiter, und so habe ich versucht, von Beginn an etwas zu einer differenzierteren Position beizutragen. Sogar jetzt gibt es ein hysterisches Element in der westlichen liberalen Reaktion auf mein Bekenntnis zum Islam: Man sagt, „wie können Sie so etwas tun, das sind die Leute, die versuchen, Sie zu töten, wie können Sie sagen, Sie wären einer von ihnen?“ Nach meinem Verständnis handelt es sich beim Islam um eine Kultur der Toleranz, des Mitleid, der Vergebung und Liebe. Und ich hoffe, daß meine Statements viele westliche Menschen dazu bringen, eine differenziertere Sicht des Islam einzunehmen und diese stereotype Schwarz-weiß-Malerei aufzugeben, die mich in den letzten beiden Jahren bei deren Versuch, mich zu verteidigen, sehr beschämt hat.

Soweit ich sehe, ist die Mehrheit der Moslems nicht bereit, bei dem Buch selbst und seiner Verbreitung Kompromisse zu machen. Was werden Sie tun, um sie zu überzeugen?

Erstens bemühe ich mich, das alles hinter uns zu bringen; zweitens, wieder Verbindung mit der Gemeinschaft der Moslems aufzunehmen; drittens halte ich mich weiter von der Gemeinschaft fern, für die ich in dieser Krise ein Problem darstelle; und viertens möchte ich zukünftig einen Weg gehen, der produktiver sein könnte. Hier denke ich zuallererst an die Stornierung der Taschenbuchausgabe. Die Taschenbuchedition war eine reale Möglichkeit, und darauf zu verzichten, bedeutet eine erhebliche Konzession, denn allein Taschenbücher sichern einem Buch hohe und dauerhafte Verbreitung. Das aufzugeben ist für einen Schriftsteller keine Kleinigkeit, vor allem, wenn es um ein Buch geht, das ihn fünf Jahre seines Lebens gekostet hat. Für mich ist wichtig, daß die Menschen in der Gemeinschaft verstehen, daß das kein Scheinzugeständis ist, sondern eine Geste, so groß, wie ein Schriftsteller sie nur machen kann. Dasselbe gilt für den Verzicht auf weitere Übersetzungen. Ich habe bereits einen Text entworfen, der meinen Respekt für den Islam sehr nachdrücklich bekundet, diskutiere diesen Text mit Moslems bis zu seiner Fertigsstellung und werde verfügen, daß er allen Exemplaren meines Buches beigelegt wird, die noch im Handel sind. Meiner Ansicht nach ist diese Geste nicht nur unmißverständlich, sondern auch eine Art von Werbung für meine Haltung zum Islam.

„Wir sprechen ja nicht gleichberechtigt miteinander“

Aber natürlich, Leute starben, und das ist der Punkt: es gab Demonstrationen, und es gab Menschenleben zu beklagen. Das war für mich absolut grauenhaft, denn nicht einmal in den schlimmsten Träumen eines Schriftstellers ist vorstellbar, daß eine solche Tragödie die Publikation seines Buches begleitet. Ich würde gern an dem Versuch teilnehmen, etwas für die Familien dieser Menschen zu tun. Und ich denke dabei nicht an eine Spende von ein paar Tausend Pfund, ich denke an wirkliche Hilfe. Abgesehen davon glaube ich, daß, wenn es eine Lektion aus dieser sogenannten Rushdie-Affaire zu lernen gibt, dann dies: in dieser sehr kleinen Welt gibt es diese beiden sehr, sehr großen Kulturen — vereinfacht die westliche und die islamische — die wirklich sehr wenig voneinander wissen und einander mit Vorurteilen begegnen. Ich halte es für immens wichtig, einen Prozess in Gang zu setzen, in dem wir das gegenseitige Verständnis der Kulturen vertiefen können. Wenn die Golfkrise irgendetwas zeigt, dann, daß diese Kulturen zukünftig nicht weiter auseinander driften, sondern enger zusammenrücken, und es ist einfach unmöglich, eine Situation beizubehalten, die von gegenseitigem Mißtrauen getragen ist. Ich habe vorgeschlagen, eine Art Stifung zu gründen, deren Aufgabe es sein sollte, dieses gegenseitige Verständnis zu fördern. Ich würde selbstverständlich gern dazu beitragen, aber ich hoffe auch auf eine große Zahl von Körperschaften und Individuen, von moslemischen Staaten und Organisationen bis zu westlichen, religiösen und säkularen — denn dieses Problem wird in den nächsten 50 Jahren von entscheidender Bedeutung sein.

Meiner Ansicht nach versucht der Westen, die moslemische Welt machtpolitisch zu dominieren. Das ist die Wurzel des Problems, von dem ja auch Edward Said (Professor für Humanismus an der Columbia University, geboren in Palästina, d.Red.) spricht.

Natürlich, diese machtpolitische Beziehung gibt es, und die muß verstanden werden. Wir sprechen ja nicht gleichberechtigt miteinander. Ein Teil der Welt hat das meiste Geld und die meisten Waffen, und der Rest der Welt muß sich damit abfinden, das ist eine Realität der Unterdrückung. Auch deshalb meine ich, daß diese Stiftungsidee nicht nur konstruktiv, sondern tatsächlich wichtig ist. Ich muß in dieser Sache an das Mitgefühl und die Vergebung appellieren, von der ich weiß, daß es sie im Herzen des Islam gibt, und ich habe es in diesem Interview immer wieder und sehr oft zuvor gesagt, daß ich bedaure, was passiert ist, daß ich Feh

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ler gemacht habe — ehrliche Fehler, aber dennoch Fehler — und daß ich darum bitte, daß wir nun im Geist der Freundschaft vorwärts gehen können. Der Koran sagt, daß, wenn du einen Schritt auf mich zugehst, ich zehn Schritte auf Dich zugehen werde, und wenn Du auf mich zugehst, werde ich auf Dich zulaufen. Dieser Geist des Mitgefühls ist meiner Ansicht nach das Zentrum des Islam. Das ist es, was ich den Moslems sagen möchte. Ich habe diese Schritte unternommen, und nun hoffe ich, daß die Menschen so weitherzig reagieren, wie der Koran sagt, daß Moslems es müssen und auch tun.

Ja. Die beiden größten Namen Gottes sind Rahman und Rahim, der Wohltätige und der Gnädige. Aber es gibt dennoch eine Hürde, und das ist das Buch selbst. Ist es Ihre Strategie als Moslem, das Einverständnis der mainstream-Bewegungen des Islam zu stören, beispielsweise von Gruppen wie dem UK Action Committee for Islamic Affaires?

Bedauerlicherweise war es mir bisher unmöglich, in irgendeinen Dialog mit Gruppen wie dem UK Action Committee zu kommen; natürlich bin ich bereit dazu, wenn sie das wollen. Lange vor meinen Statements zu diesem Thema habe ich Vermittler um den Versuch gebeten, den Dialog mit den moslemischen Führern in Bradford und anderswo aufzunehmen. Damals schien das leider unmöglich. Der springende Punkt für das UK Action Committe ist nach seinen Aussagen das komplette Verbot des Buches. Ich habe darüber intensiv nachgedacht und möchte dazu einiges sagen, wovon ich hoffe, daß die Moslems das ebenso ernsthaft in Erwägung ziehen, denn ich sage das Folgende aus keinem anderen Grund als dem Wunsch, für uns alle eine Lösung des Problems zu finden, und vor allem für die moslemische Gemeinschaft hier.

Zum einen kann das Buch nicht aus der Welt geschafft werden — weder als Buch noch als Idee. Es ist da als eine Entität, es steht bei vielen Leuten zuhause, es ist im Umlauf. Der Versuch, dieses Ereignis ungeschehen zu machen ist so unrealistisch wie der, die Uhr zurückzudrehen.

Zum anderen gibt es einen praktischen Gesichtspunkt zu berücksichtigen — nur praktisch, aber wichtig: Faktisch habe ich nicht die Macht, das Buch zurückzuziehen. Das gehört dazu, wenn man einen Vertrag unterschreibt: Es steht nicht in meiner Macht, das Buch zurückzuziehen, und bei einem Versuch der Versöhnung zwischen mir und der Gemeinschaft, deren Teil ich bin, wäre es sinnlos, von mir etwas zu verlangen, zu dem ich schlicht nicht in der Lage bin.

Der Hauptpunkt aber fällt in drei Kategorien: Was würde mit dem Buch selbst passieren? Was würde mit mir geschehen? Und welche Konsequenzen hätte das für die moslemische Gemeinschaft? Ich will Ihnen sagen, was aus dem Buch würde, wenn es zurückgezogen würde: Es würde dasselbe damit passieren wie mit dem „Ulysses“, bei dessen Verbot oder mit „Dr.Schiwago“ in der Sowjetunion. Mein Buch, das mittlerweile ja keine Neuheit mehr ist, das immer unwichtiger wird, würde auf der Stelle einen märtyrerhaften Charakter annehmen, es wäre eine Kostbarkeit, es würde sofort wieder ungeheuer berühmt. Mit ziemlicher Sicherheit würden Raubdrucke produziert, auf deren Verbreitung man überhaupt keinen Einfluß nehmen kann.

Was würde mit mir geschehen? Wenn ich das Buch zurückzöge, wäre mein Ruf ruiniert, meine Reputation als eine ernstzunehmende Person in diesem Land und in dieser Zivilisation wäre zerstört. Man kann natürlich sagen: na und? Aber meiner Ansicht nach wäre es für die Moslemische Gemeinschaft nicht von Vorteil, jemanden unmöglich zu machen, der eine Stimme für ihre Rechte sein könnte und in der Vergangenheit auch war. Ich habe mich zu Kaschmir, Palästina, dem Rassismus in England im Sinne moslemischer Interessen geäußert — also auch hier wäre der Effect weder produktiv noch konstruktiv.

Und schließlich — was mir in vielfacher Hinsicht das Wichtigste zu sein scheint: was für eine Auswirkung hätte ein Verbot des Buches auf die moslemische Gemeinschaft selbst? Sie könnten glauben, einige ihrer Führer könnten glauben, das wäre ein Sieg. Meiner Ansicht nach wäre es ein katastrophaler Sieg, wenn man es denn einen Sieg nennen will. Der Effekt würde auf die moslemische Gemeinschaft in diesem Land mit einem Grad von Feindseligkeit zurückschlagen, der alles in den letzten beiden Jahren Geschehene wie ein Nichts aussehen läßt. Und ich denke dabei nicht an ein, zwei Wochen, sondern an Jahrzehnte.

Ein konstruktives Ende für mich wäre, auf eine Taschenbuchausgabe zu verzichten. Die Verkäufe beim Hardcover liegen im Moment höchstens bei ein paar Hundert im Monat, und daß sie überhaupt so hoch liegen bei einem relativ alten Buch, hat mit der andauernden Auseinandersetzung zu tun. Mit ihrem Verschwinden wird auch das Buch verschwinden. Ich wäre bereit, auf alle Einnahmen aus diesem auslaufenden Buch zu verzichten, ich kann das Geld spenden oder was auch immer. Und falls die UK Action Community oder sonst jemand immer noch mit mir darüber diskutieren will, bin ich gern dazu bereit. Aber ich hoffe, daß wir darüber reden können im Sinne dessen, was für alle das beste ist. Ich bin für Ideen offen.

Nachdem Sie sich zum moslemischen Glauben bekannt und gewissermaßen das Lager gewechselt haben, befinden Sie sich in dem gefährlichen Gebiet zwischen Westen und Islam. Fühlen Sie sich außer Gefahr oder verletzlicher als je zuvor?

Ich war immer der Ansicht, Sicherheit bedeute für mich das Einverständnis der moslemischen Gemeinschaft. Je mehr wir uns aufeinander zu bewegen, um so sicherer fühle ich mich. Und was ich stark empfinde und sehr hoffe ist, daß mit dem Wachsen dieses Einverständnisses immer mehr Moslems in diesem Land und überall sich gegen Menschen aussprechen, die wesentlich aggressivere Haltungen einnehmen, weil ich der Überzeugung bin, daß dies keine moslemische Eigenschaft ist. Um Ihre Frage zu beantworten: Ich glaube nicht, daß ich schon so weit bin, durch die Straßen zu gehen und mein normales Leben wieder aufzunehmen, aber je weiter dieser Prozeß fortschreitet, um so sicherer fühle ich mich. Ich habe aufgehört, in einem Käfig zu leben, wissen Sie. Ich habe angefangen, mehr zu tun.

Ich erinnere die Leute auch daran, daß ich nun ein Moslem und damit ihr Bruder bin, weil jeder, der mich anzugreifen versucht, wissen soll, daß er gleichzeitig eine anti-moslemische Tat begeht. Im Islam ist das eindeutig, und der Scheich von Al-Azhar hat bereits gesagt, daß nun, da ich in den Islam eingetreten bin, die Vergangenheit ruhen muß und jeder, der mich angreift, sich am Ende seines Lebens dafür rechtfertigen muß. Und dabei geht es weniger um mein Leben als um das des Angreifers.

Was ist mit den Leuten, die Sie in den letzten beiden Jahren unterstützt haben?

Bei jedem größeren politischen Ereignis schlagen sich die Leute aus allen möglichen Gründen auf die ein oder andere Seite. Ich habe in diesen zwei Jahren immer wieder gesagt, daß es Argumente gibt, mit denen ich nicht verteidigt werden möchte. Zum Beispiel die Charakterisierung der Moslems als Barbaren: Das war mir zuwider, und wenn es jetzt Leute gibt, die mich wegen meines Bekenntnisses nicht mehr unterstützen wollen, dann bin ich froh, daß ich sie los bin. Ich wollte ihre Unterstützung auch vorher nicht. Alleine die Art, in der mein Name von der National Front benutzt wurde, um Moslems zu verunglimpfen. Ich habe oft gesagt, daß mich das genauso beleidigt wie die Moslems. Ich habe aber den Eindruck, daß der größte Teil der Leute, die diese Kampagne für die Freiheit der Rede führten, es ehrlich meinten und daß für sie die Gewissensfreiheit genauso wichtig ist wie die Freiheit der Rede, wenn nicht noch wichtiger. Wenn ich ein Glaubensbekenntnis ablegen will, ist das meine Sache und nicht ihre, und ich denke, die Leute akzeptieren das. Ich hoffe, es wird den Leuten helfen zu verstehen, daß die Moslems als eine Glaubensgemeinschaft nicht durch Gewalt gekennzeichnet sind.

In meinem Buch, das nächsten Monat erscheinen wird, Widerstand und Kontrolle in Pakistan, beschäftige ich mich mit der Frage der Führerschaft in der moslemischen Gesellschaft. Wer ist ihr Sprecher, der religiöse Funktionär, die traditionelle Autorität oder die offizielle Regierung? Halten Sie das für ein relevantes Problem auch für die Moslems heute?

Das Problem hier in Großbritannien ist meines Erachtens, daß die Moslems politisch nicht gut organisiert sind, ein bei neu entstehenden Gemeinschaften übliches Problem. Ich glaube, in dieser Gemeinschaft gibt es sehr viele unterschiedliche Stimmen. In den kommenden Jahren muß man es schaffen, so etwas wie eine kohärente Stimme zu finden. Langfristig müssen wir über eine Struktur der Repräsentation nachdenken, denn wenn man in einer Gesellschaft Einfluß gewinnen will, muß man organisiert sein.

Wir haben über etliche negative Konsequenzen der Kontroverse gesprochen, aber es gibt auch eine positive Seite: das größere Bewußtsein in Großbritannien hinsichtlich der moslemischen Gemeinschaft. Kann die Kontroverse also dazu beitragen, daß die Kluft zwischen den Briten und den Moslems überwunden wird, den Schaden, der in der Beziehung zwischen den Rassen entstanden ist, wiedergutzumachen?

Zunächst einmal: Wenn wir uns jetzt sehr schnell darauf einigen können, daß diese Krise überwunden ist, kann dies meiner Meinung nach eine phantastische, wohltuende Wirkung auf die Beziehung zwischen Moslems und Briten haben. Außerdem kann es im Zusammenhang mit der Golfkrise wichtig sein. Viele Moslems machen sich Sorgen und müssen sich Sorgen machen über die Folgen der Golfkrise für die moslemische Gemeinschaft in Großbritannien. Man denke nur daran, was japanischen Amerikanern während des Zweiten Weltkriegs geschah, oder was Leuten mit deutschen Namen während des Zweiten Weltkriegs in Großbritannien geschah; die Feindschaft wuchs, in einigen Fällen gab es Internierungen. Es gab so eine Art generelles Bedürfnis, solche Minderheiten als die fünfte Kolonne zu charakterisieren oder als einen inneren Feind. Mir scheint, zur Zeit besteht die große Gefahr, daß es im Falle eines Krieges den Moslems hier ähnlich ergehen wird. Deshalb ist es sehr wichtig, daß alle von uns, die in der Lage sind, ihre Stimme zu erheben, sie sehr laut gegen diesen Mechanismus erheben und dagegen kämpfen.

Was denken Sie über die Situation am Golf?

In Saudi-Arabien gibt es ein besonderes historisches Problem, nämlich das dort Mekka und Medina liegen. Die Vorstellung einer langfristigen Präsenz von westlichen Militärs dort ist für einen Moslem sehr, sehr beunruhigend, egal, wo in der Welt er lebt, egal, welche besondere Beziehung er zu dieser Krise hat. Die Angst, daß diese heiligen Stätten gefährdet sind, ist groß. Alleine das schon ist ein Grund, warum es in diesem Konflikt eine legitime moslemische Position ist zu sagen, er muß anders gelöst werden als in Form eines Schußwechsels.

Ihr Stil ist postmodern, respektlos, ironisch, satirisch, skeptisch. Sehen Sie in Ihrem Werk einen inneren Widerspruch zwischen diesem Stil und der im Glauben wurzelnden islamischen Tradition?

Eigentlich nicht. Erstens habe ich mich nie als postmodern bezeichnet. Mir scheint das ein Begriff zu sein, der in der Lehre und der Wissenschaft verwendet wird und in diesem Rahmen auch nützlich ist. Für mich und den Akt des Schreibens ist er nicht von Nutzen. Außerdem macht man es sich mit diesem schlichten Gegensatz zwischen moslemischem Respekt und, wie Sie sagen, respektloser Postmoderne zu einfach. Nicht zuletzt der Islam selbst und seine Literatur stecken voller Satire und Respektlosigkeit, voller Phantasie und Verschmitztheit. Man braucht sich nur Tausendundeine Nacht anzuschauen, all das findet sich dort. Tausendundeine Nacht war für mich das Buch, von dem ich mehr über das Schreiben gelernt habe als von irgend etwas sonst. Man darf eines nicht vergessen: Was man heute im Westen „magischen Realismus“ nennt und früher Surrealismus nannte und davor Fabel oder Phantasie, ist ein und dasselbe. Und der entscheidende Moment, durch den diese Techniken in die westliche Literatur kamen, war die Tatsache, daß die Araber nach Spanien kamen. Sie brachten Tausendundeine Nacht mit und eine literarische Tradition, die sich bald in der spanischen Literatur niederschlug. Wenn Garcia Marquez sich heute auf die spanische Literatur bezieht, so lassen sich die Spuren seines Schreibens bis in die arabische Literatur zurückverfolgen. In Don Quichotte zum Beispiel, dem größten Meisterwerk der spanischen Literatur, macht Cervantes aus dem fiktiven Erzähler ganz selbstverständlich einen Araber. Don Quichotte und Cervantes – die Art, Geschichten zu erzählen, steht ganz deutlich in dieser Tradition. Ein großer Teil dessen, was man westliche Literatur nennt, leitet sich nach meinem Dafürhalten wiederum aus diesem Cervantes-Stil ab. Mein eigenes Schreiben scheint mir in gewisser Weise diesen Kreis zu schließen. Schließlich gelangte Tausendundeine Nacht nicht nur in den Westen, sondern auch weiter nach Osten; so kam auch ich als Kind in Indien damit in Berührung.

Ich dachte jetzt mehr an Glaubensdinge, an Fragen der Überzeugung. Wir leben in einem Zeitalter des Unglaubens, des Skeptizismus; der Islam dagegen hat gegenüber diesen Fragen eine sehr klare Haltung.

Ja, das kann man so sagen. Aber die Aufgabe eines Romans ist meiner Meinung nach nicht die Polemik. Ein Roman, der belehren oder instruieren will, ist fast immer ein schlechter Roman. Aufgabe eines Romanciers ist es, die Konflikte, Belastungen und Bedürfnisse einer Gesellschaft zu verstehen und zu versuchen, dies in seinem Schreiben zu reflektieren. Nun leben wir ja eindeutig in einem Zeitalter, in dem es eine enorme Spannung gibt zwischen dem Bedürfnis nach Sicherheit und Glauben und dem nach Unglauben und Zweifel. Es ist eine objektive Tatsache, daß diese Spannung in der Welt existiert, wahrscheinlich mehr oder weniger im Innern jedes einzelnen von uns. Es ist Aufgabe des Dichters zu versuchen, dies darzustellen, zu reflektieren und zu verstehen.

Ich möchte zum Schluß noch einmal auf unsere erste Frage zurückkommen. Beginnen Sie nun, seit Ihrem Übertritt zum Glauben, sich mehr mit dem Islam zu beschäftigen?

Ja sicher. Ich habe zu Hause drei Ausgaben des Korans mit unterschiedlichen Kommentaren, die ich jetzt lese. Ja, ich versuche, sie zu verstehen. Ich habe zur Zeit auch noch eine Reihe von anderen Büchern über die Kultur der Moslems zu Hause. Es ist interessant, daß Sie in Ihrem Buch Discovering Islam („Den Islam entdecken“) über das Andalusien-Syndrom sprechen, und einer der Hauptstränge dieses Romans, von dem ich Ihnen ein bißchen erzählt habe, hat mit meiner langjährigen Faszination zu tun, die ich gegenüber der maurischen, der arabischen Periode in Spanien hege. Mir scheint, diese Kulturen existierten damals nicht nebeneinander, sondern verschmolzen zu einer gemeinsamen Kultur, sie durchdrangen einander, und so entstand eine unglaublich reiche und eine der großen Epochen in der moslemischen Geschichte. Dann aber, vor allem unter dem Druck dessen, was man vereinfacht christlichen Fundamentalismus nennen könnte, wurden diese Kulturen auseinandergerissen. Nicht nur die Araber, auch die Juden wurden aus Spanien vertrieben, dieser Moment der Vereinigung war ein für allemal zerstört. Seitdem halten der Islam und das Christentum, der Islam und der Westen einander für das dunkle andere. Einen Großteil der Feindseligkeit und der Vorurteile, der Mißverständnisse usw. läßt sich meiner Meinung nach auf diesen Punkt zurückführen. Diesen Zwist zu beenden ist ungeheuer wichtig. Weil dieser schreckliche religiöse Extremismus in Spanien damals noch größer wurde, war der Pluralismus, der dort einmal existierte, unmöglich geworden. Das sollte uns eine Lehre sein. Ich war in Spanien.

In Ihrem Buch sprachen Sie über den Eindruck, den die Moschee von Cordoba auf Sie gemacht hat. Mir ging es genauso, als ich mit achtzehn in Cordoba war, als Student. Ich erinnere mich daran, daß ich damals dachte, was für ein außergewöhnliches Gebäude das ist und wie pathetisch und geradezu bestürzend die kleine Kathedrale in der Mitte der Moschee steht. Auch die Alhambra in Granada hat mich fasziniert. Ich hatte lange das Gefühl, das dies etwas mit mir zu tun hat, denn diese beiden Kulturen, die ihren reichsten Ausdruck dort finden, wo sie verschmelzen, sind auch die beiden Kulturen, die in mir selbst miteinander verschmolzen sind. Das arabische Spanien ist für mich ein Synonym für die volle Entfaltung dessen, was diese beiden Kulturen erreichen können, wenn sie zusammenarbeiten. Das Ende des arabischen Spaniens ist für mich der Alptraum von dem, was geschieht, wenn sie sich gegeneinander stellen. Damit habe ich mich in den vergangenen zwei oder drei Jahren beschäftigt, und es wird in meinem nächsten Roman sicherlich eine wesentliche Rolle spielen. Vielleicht ist Ihre Frage, wie mein neuer Glaube den Prozeß des Schreibens bereichern wird, damit wenigstens teilweise beantwortet.

Copyright: 'The Guardian‘, 17.1.91. Mit freundlicher Genehmigung

Aus dem Englischen von Elke Schmitter und Christiane Peitz