Feinde

■ Auszüge aus einem Text von Reinhard Lettau, der zur Zeit in der Brotfabrik vorgetragen wird

Ausgewählte Dialoge aus Reinhard Lettaus 1968 enstandenem Text »Der Feind« werden zur Zeit unter dem Titel »Feinde-Fragment« in der Brotfabrik vom Theater an der Spitze vorgetragen. Ergänzt werden sie dort durch Dialoge aus der Feder des Regisseurs Thomas Hauer, die wir hier allerdings nicht dokumentieren.

Frisch, mit leuchtenden Augen, tritt der Feldmarschall am frühen Morgen ins Zimmer. »Wir schlagen den Feind heute«, sagte er.

Der Adjudant meldet sich.

»Warum heute?« [...]

»Wo ist Ihre Armee?«

»Ich habe sie vorher aus der Tasche verloren.«

Auf betroffenes Schweigen hin: »Ich gebe zu, dazu ließe sich mehr sagen. Sie erwarten wohl, daß ich hier Geschichten erzähle? Wir sollen plauschen, was? Palette mischen, Ihnen alles, mit fertigen, werdenden, halben Helden, in bewegeter, womöglich spöttischer Rede vortragen? Frühstücken wir oder erzählen wir uns Geschichten? Ich kann nur eins auf einmal. Unersättlich, wie sie sind, wollen Sie wissen, wie es kam. Nicht nur den Marsch wollen Sie wissen, wie es kam. Nicht nur den Marsch wollen Sie kennenlernen, auch die Schritte davor, von den versuchten, zurückgenommenen bis zur endgültig eingeschlagenen Richtung. Das soll ich wohl aufzählen, alles, was dazugehört, erinnert wiederherstellen, Sie halten mich wohl für einen Privatgelehrten, in Ihren Augen bin ich wohl ein Historiker, ich soll wohl überall herumschnüffeln, während das Frühstück erkaltet, mit Erfindungen die Freunde langweilen, womöglich Notizen machen, die Karten mischen zum Spiel ohne Partner, und dies alles nur, damit ich zum Schluß, nach einigen Wochen, während hier alles schnarcht, Sie mit dem Satz, daß ich die Armee aus der Tasche verlor, begeistern, befriedigen kann?«

»Exzellenz, es hat alles keinen Zweck.«

»Warum denn nicht? Was heißt denn das?« »Exzellenz, die Feinde, wenn man gegen sie vorgeht, im richtigen Moment, halten sich an unseren Waffen fest.«

»Sie umklammern die Waffen, ja?«

»Sie umklammern die Waffen oder hängen sich dran.«

»Sind die Feinde denn schwer?«

»Zu schwer zum Tragen.«

»Und losschütteln geht wohl nicht? Kräftig schütteln, daß sie runterfallen?«

»Sie machen sich schwer und zappeln an den Waffen, daß unsere Leute herumtorkeln und ins Leere stoßen.«

Der Feldmarschall listig: »Und loslassen? Plötzlich loslassen? Plumpst dann der Feind nicht zur Erde?«

»Dann hat er die Waffe.«

»Und ihn, während er an der Waffe hängt, mit einer anderen Waffe angreifen?«

»Exzellenz, dazu ist keine Hand frei. Unsere Soldaten benötigen beide Hände zum Tragen von Waffe und Feind.«

Der Feldmarschall denkt wieder nach. Danach lächelnd: »Und wenn wir den Spieß herumdrehen? Wenn wir uns an den Waffen des Feindes festhalten?«

»Exzellenz, das geht nicht.«

»Warum geht das denn nicht?«

»Der Feind hat keine Waffen.« [...]

Der Feldmarschall, noch im Bett, ruft den Adjudanten zu sich: »Im Bezug auf unseren bevorstehenden Sieg folgendes. Ich habe geträumt, wir werden gewinnen. Rufen Sie die Herren zusammen.«

Gleich danach, im Frühstückszimmer: »Meine Herren, heute gewinnen wir. Folgender Plan. Wir rufen alle Truppen zusammen. Dann, in einer Rede gegenüber den Truppen, tue ich so, als wäre ich niedergeschlagen. Ich sage, daß ich deprimiert bin. Sie sicher auch, rufe ich.«

Pause.

»Also, ich beginne mit einer Darstellung der Lage, die die dunkleren Töne hervorhebt. Dann Bild der Heimat, als Gegensatz. Danach, wobei natürlich der Widerspruch kommen wird, rufe ich: Wir machen Schluß, zurück nach Hause, hinterlassen wir dieses Land.«

Pause.

»Was meinen Sie?« fragt der Feldmarschall. »Es überzeugt Sie, glaube ich. Die Truppen werden >Nein< rufen, glaube ich. Ich glaube, sie werden sich gegen den Feind stürzen.«

»Aber wenn nun, Exzellenz, die Truppen gleich jubelnd zu den Schiffen rennen, Gerät hinterlassen, so daß wir, selbst wenn wir uns in den Weg stellen, sie nicht mehr aufhalten können?«

Sehr überlegen, der Feldmarschall: »Sie denken wohl an Homer, was?«

Die Offiziere stürzen ins Zimmer: »Exzellenz, der Feind greift an«.

»Ach? Wo? An welcher Stelle greift er an?«

»Hier«, die Offiziere zeigen auf die Karte, »und hier auch.«

Der Feldmarschall tritt entrüstet zur Karte.

»Ich bin entrüstet«, sagt er.

»Aber Exzellenz werden es dem Feind nicht übelnehmen wollen«, rufen die Ofiziere.

»Meine Herren«, sagt der Feldmarschall, »es fehlte jeglicher Hinweis der anderen Seite.«

»Andererseits«, sagen die Offiziere, »hat der Feind eben dort seit Wochen lokal bedrängt«.

»Bedrängt«, ruft der Feldmarschall, »gewiß bedrängt. Aber nicht deutlich. Keine Billets. Oder war die Bedrängung etwa so, daß daß unsere Leute sich sagen mußten: Donnerwetter, eine Bedrängung, die auf einen baldigen Vorstoß schließen läßt? Waren Sie gestern hier, um zu melden: Exzellenz, eine deutliche Bedrängung an der Front?«

Die Offiziere: »Exzellenz, es trifft zu, noch gestern, nach gründlicher Beratung, gingen wir auseinander. Resultat: Von Belästigung keine Rede.«

»Sehen Sie«, ruft der Feldmarschall«, wohl eine leichte Bedrüngnis, aber keine eigentliche Belästigung.«

Ja. Man schaute kaum hoch. Nur manchmal ein bißchen, wenn es pfiff.«

»Also nur ein bißchen?«, ruft der Feldmarschall. »Sehen Sie. Seit wann werden Angriffe mit ein bißchen Pfeifen angekündigt?«

»Gewiß«, rufen die Offiziere, der Mann im Felde legt sich auf die andere Seite.«

»Und womöglich auch das Pfeifen mit großen Pausen dazwischen?«, fragt der Feldmarschall.

»Still zwischendurch, Exzellenz.«

»Sehen Sie«, ruft der Feldmarschall, »kaum ein Laut?«

»Andererseits«, meldet sich der Oberst, »hätte doch die Stille uns warnen müssen.«

»unsinn«, ruft der Feldmarschall. Es herrscht Schweigen.

»Beantworten Sie mir noch eine Frage«, ruft der Feldmarschall den Offizieren nach, die sich verabschieden wollen. Diese wenden sich zurück.

»Ist der Feind bewaffnet?«

»Ja.«

»Diese Auskunft bestätigt meine schlimmsten Erwartungen. Wir haben es also mit einem bewaffneten Feind zu tun?«

»Der Feind, wahrscheinlich hat er die Waffen vorher verborgen gehalten.«

»Also heimlich vergraben? Während wir überall und offen zeigten mit allem Gerät.«

Die Offiziere stehen schweigend.

»Meine Herren«, sagt der Feldmarschall, »ein Feind, der selbst angreift, womöglich noch in gebückter Haltung, womöglich während wir abgelenkt sind, womöglich im Regen, mehr sage ich nicht, ich verstehe die Welt nicht mehr.« [...]

Frage an den Feind: »Daß Sie sagen was Sie sagen findet unseren Beifall. Wie Sie sagen was Sie sagen, etwas weniger. Bleibt: Was Sie sagen. Darüber sprechen wir lieber nicht. Es ist ihr gutes Recht, zu sagen, was Sie sagen. Nur dürfen Sie nicht sagen, daß Sie es nicht sagen dürfen. Von dieser einen Aussage abgesehen heißen wir jede Äußerung willkommen. Daher nun meine Frage: Was erreichen Sie damit?« [...]

Nachts: »Meine Herren, warum stehn Sie jetzt, in der Dunkelheit, noch immer am Fenster?«

Ohne sich umzuwenden, gegen das Glas geantwortet: »es könnte noch etwas vorfallen, einige Handlungen.«

Beim Weg durch die Stadt bemerken wir beim Hinaufschaun zu den Fenstern überall die sich kaum bewegenden Umrisse von am Fenster wartenden Beobachtern.

Reinhard Lettau: »Feinde«, ©1968 Carl Hanser Verlag