: Mißtraut den Bildern!
Fernsehberichterstattung über den Golfkrieg: Gasmaskenshow oder Realität?/ Allmählich warnen auch die Fernsehanstalten vor der Einseitigkeit ihrer Imformationsquellen/ CNN macht Propaganda ■ Von Ute Thon
Eifrige CNN-Reporter im TV-Studio in Tel Aviv. Mit der Gasmaske auf dem Kopf übermitteln sie ihre Berichte, während im Sirenengeheul irakische Raketen auf die Stadt niedergehen. Wie mutig diese Journalisten doch sein müssen, daß sie ein drohender Giftgasangriff nicht von ihrer Berichterstatterpflicht abhält, denkt der entsetzte Zuschauer zu Hause an seinem Bildschirm. Hautnah sieht die Berichterstattung aus — Kriegsatmosphäre live. Aufmerksamen TV-Beobachtern dürfte dagegen nicht entgangen sein, daß sich im Studio auch einige CNN-Mitarbeiter ganz ohne Gasmaske bewegen. Was hier so bedrohlich und livehaftig wirkte, war in Wahrheit eine Filmkonserve, von CNN schon vor der Raketenwarnung fürs Fernsehpublikum inszeniert. Nur eine kleine Texteinblendung wies Eingeweihte darauf hin: taped earlier.
Es muß noch einmal ganz deutlich gesagt werden, auch wenn die Rundfunkanstalten mittlerweile selbst beginnen, vor der Einseitigkeit ihrer Informationsquellen zu warnen: Mißtraut den Bildern! Nahezu alle Berichte, die derzeit aus dem Kriegsgebiet am Golf zu uns in die Wohnzimmer flimmern, sind zensiert. Die Militärstrategen im Pentagon haben allen Journalisten strengste Auflagen über die Art und den Umfang ihrer Berichterstattung auferlegt. Denn, so die vorherrschende Meinung in Amerika, der Vietnamkrieg wurde seinerzeit nicht an der Front, sondern an den Fernsehbildschirmen verloren. Um kein zweites Mal solch eine Niederlage zu erleiden, müssen nun alle Bilder über die militärischen Angriffe der alliierten Luftstreitkräfte am Golf erst von den US-Presseattaches freigegeben werden, bevor sie von den Fernsehanstalten ausgestrahlt werden dürfen. Doch selbst die Bilder, die schließlich auf unseren TV-Mattscheiben erscheinen, spiegeln ja nur einen Bruchteil dessen wieder, was sich als Realität im Nahen Osten tatsächlich abspielt.
Die Herkunft der Infrarotaufnahmen mit Fadenkreuz, mit denen General Schwarzkopf den Presseleuten die Treffgenauigkeit seiner Bombenjets veranschaulichen hilft, ist offenkundig. Über das tatsächliche Ausmaß der Verwüstung, das tagelanges Flächenbombardement unter der Zivilbevölkerung anrichtet, darüber sagen diese Videobilder nichts. Den Korrespondenten, die solche Aufnahmen mit allzu leutseliger Euphorie kommentieren, täte mehr journalistische Skepsis gut.
Doch nicht nur die amerikanischen Militärs zensieren Bilder, auch Israel läßt nur bestimmte Berichte zu. Und Saddam Hussein, der vor Ausbruch des Krieges mit seiner großzügigen Offenheit gegenüber internationalen TV-Teams ein böses Spiel spielte (die zynischen Inszenierungen des Diktators im Kreise verängstigter Geiseln vor laufender CNN-Kamera sollten nicht so schnell vergessen werden) hat seine Informationspolitik nun radikal verändert. Außer sein Lieblingsreporter Peter Arnett von CNN, mußten nun alle Journalisten vorübergehend Bagdad verlassen. Der letzte genehmigte Wortbeitrag eines Kollegen über das Ausmaß der Zerstörung in Iraks Hauptstadt war knapp: „Die Silhouette sieht verändert aus!“ Der Preis, den CNN für die ständige Anwesenheit an der Seite des Diktators zahlt, ist hoch: Propagandasprachrohr Husseins statt Pressefreiheit.
ZDF-Auslandschef Ullrich Kienzle gab am Sonntag im Fernsehen erstmals zu, daß man anfangs auf die US-Propaganda vom schnell zu gewinnenden Krieg reingefallen war. „Ich bekenne mich schuldig...“ — Endlich! Der darauf folgende Bericht aus Daaharan bewies tatsächlich angemessenes Mißtrauen gegenüber den PR-Bildern der Amerikaner über ihre schlagkräftige US-Luftwaffe. Jedem Beitrag aus dem Krisengebiet am Golf wäre ein solch kritisch zurückhaltender Kommentar zu wünschen, der nicht verschweigt, daß man sehr wenig weiß. In der gleichen Sendung aber auch das Negativbeispiel: Wie steht es um die Bündnistreue der Ägypter in der arabischen Allianz gegen Hussein, sollte in einen andern Beitrag beleuchtet werden. Als authentischen Beweis für die ungebrochene Anti-Irak- Stimmung lieferte der Reporter eine Kairoer Ausflugsgesellschaft am Nil. Bilder von ausgelassenen Ägyptern und tanzenden Kindern als Zeugnis für die feste Allianz. Was hat das noch mit Information zu tun?
Das, was Journalisten tagtäglich an Halbwahrheiten zusammenschneiden, sei es aus Mangel an Zeit, aus Mangel an diffenrenzierter Information oder aus Mangel an Bildern, wird, erst einmal in das Vervielfältigungsgerät Fernsehen eingespeist, durch seine endlose Wiederholung schnell zur Wahrheit. „Vorsicht, zensierte Bilder“ müßte darum vor, während und nach jeder Nachrichtensendung als Zuschauerwarnung eingeblendet werden.
Gabriele Krone-Schmalz sagte in einem anderen Zusammenhang etwas, was man von Journalisten selten hört. „Wir müssen uns davor hüten, das Richtige in die falsche Schublade zu stecken oder umgekehrt“, antwortete sie auf Sabine Christiansens Frage nach den Rücktrittsgründen des sowjetischen Wirtschaftsfachmanns Nikolai Petrakow. Eilfertige Agenturen hatten sofort gemeldet, daß er aus Protest gegen die Vorgänge in Litauen seinen Hut genommen hatte. Sicher hatte das etwas damit zu tun. Der von ihm selbst benannte Grund war jedoch das Scheitern seiner radikalreformerischen Wirtschaftspolitik. Das ist ein kleiner, aber feiner Unterschied. Solche Differenzierungen sind wichtig, wir müssen sie immer wieder einfordern, auch um den Preis, nicht alles sofort erklären zu können.
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