Grüner Erfolg und Erfolgszwang

Ist die grüne Welt nun wieder in Ordnung? Es schmälert den Triumph der Hessen-Grünen keineswegs, wenn man diese Frage nicht bejaht. Vor allem bringt es nichts, der Partei sofort die Genesung zu prophezeien, weil sie auf dem Weg zur Morgue [Leichenschauhaus in Paris, d.K.] der Nachkriegsgeschichte nun doch noch von der Bahre sprang. Vor allem ist der Erfolg der Grünen, der ihnen ja beinahe die Wählerschaft von 1987 zurückgebracht hat, keineswegs gleichbedeutend mit der Erneuerung des sogenannten rot-grünen Modells. Das gehört der vergangenen Bundesrepublik an. Walter Mompers peinliches Lamento, am Wahlabend in Berlin vom „auslaufenden Modell“ zu reden, ist durch die knappe Mehrheit für Rot- Grün in Hessen keineswegs widerlegt worden. In Frankfurt wäre, wenn dort am Sonntag Kommunalwahlen gewesen wären, zugleich eine bestehende rot-grüne Koalition gescheitert. Vor allem gilt auch für die Hessenwahl, daß Regierungen nicht gewählt, sondern abgewählt werden. In Wallmanns Regierung war die dünne konzeptionelle Substanz schon längst von Dauerskandalen aufgezehrt. Außerdem haben sicherlich die Bonner Koalitionsverhandlungen die WählerIn aus der Mitte demotiviert. Nicht nur die rüde Art, mit der die künftige Bundesregierung die Kosten der Einheit auf ArbeiterInnen und Angestellte abwälzte, haben da mitgewirkt. Sondern mehr die offensichtliche Konzeptionslosigkeit, die finanzpolitische Unfähigkeit und der panikartige Opportunismus innerhalb der alten Lobbies ergänzten sich zu einem negativen Signal: Der CDU-FDP Regierung droht in den Augen der Bevölkerung der Verlust der exekutiven Komptetenz. Zudem konnten die Grünen auf eine Wiedergutmachungskoalition bei den Wählern zählen. Sie haben die zurückgeholt, die in der gesamtdeutschen Wahl zu Lafontaine übergelaufen sind: Der grüne Erfolg ist relativ.

Die Frage, wie erfolgreich ist der grüne Erfolg, muß noch einen anderen Gesichtspunkt einbeziehen. Mehr als sonst stand der grüne Wahlkampf unter bundespolitischen Vorzeichen. Joschka Fischer hat kühl à la baisse spekuliert. Er hat frühzeitig den Bundestagswahlkampf für verloren gegeben und aus dem grünen Desaster einen Treibsatz für Hessen gemacht. Schon vor der Bundestagswahl hatte er gewissermaßen Hessen zur grünen Schicksalsfrage erhoben, in der richtigen Einsicht, daß die Grünen der 90er Jahre sich weniger im Angesicht der Apokalypse, sondern eher dann, wenn sie mit dem Rücken zur Wand stehen, mobilisieren lassen. Er hat dafür in der Bundespartei einen Haufen fauler Kompromisse mit der Fraktion der linken Selbstgerechtigkeit in Kauf genommen, mit der die Partei nicht fortexistieren kann — und, nach dem Erfolg in Hessen, auch nicht fortexistieren wird. Fischer brauchte strömungspolitische Ruhe vor der Wahl. Mit der ist es nicht deswegen vorbei, weil jetzt die Ausschlußanträge gegen Jutta Ditfurth und Manfred Zieran behandelt werden müssen. Es steht die Parteireform an, die Besetzung des Bundesvorstandes und die politische Entscheidung für eine grüne Reformpartei. Hessens Grüne sind in der bundespolitischen Pflicht. Sie verspielen den Erfolg für die grüne Partei überhaupt, wenn die Bundespartei weiterhin die Strömungen administriert und konserviert, Strömungen, die längst der Vergangenheit angehören. Insbesondere diejenigen, die sich am meisten in der letzten Zeit für eine Transformation der Partei eingesetzt haben und unter den Namen Aufbruch und Ökolibertäre firmieren, stehen schon mit einem halben Schritt außerhalb der Partei.

Vor allem aber läßt sich aus dem Hessenerfolg keineswegs ableiten, was eine grüne Reformpartei in den nächsten Jahren machen muß. Auch Hessens Realos haben sich im Jahr der Einheit an die Segnungen der untergegangenen Bundesrepublik geklammert. Wie soll eine grüne Politik aussehen, angesichts des wirtschaftlichen Desasters in Ostdeutschland? Wie sind grüne Reformen denkbar, wenn die öffentliche Hand nicht mehr die Mittel hat, um grüne Korrekturen im Sozialstaat zu finanzieren. Angesichts der dramatischen Defizite in den neuen Bundesländern (und auch in den alten Ländern) gibt es weder Ideen noch politische Erfahrungen. Gerade Berlin hat gezeigt, wie eng das rot-grüne Regieren, wie eng die notwendigen Kompromisse mit steigenden öffentlichen Haushalten verknüpft sind. Die grüne Partei ist noch weit davon entfernt, eine Antwort auf die veränderten sozialen Verhältnisse im vereinten Deutschland zu haben. Die Zeit, daß die Grünen einerseits ihre Klientel bedienen und ansonsten mit den Gewerkschaften und der SPD das Schutz- und Trutzbündnis gegen den Sozialabbau praktizieren, ist vorbei — einfach deswegen, weil die öffentlichen Haushalte linear durchgekürzt werden müssen und kein Lamento mehr hilft. Viel Zeit für eine Antwort haben die Grünen jedenfalls nicht. Am 2. Juni in Hamburg wird sich zeigen, was der Erfolg in Hessen für einen Wert hat. KLaus Hartung