Ohne Wenn und Aber für Israel

■ Auch die arrogante Politik Israels machte Saddam Hussein populär DEBATTE

Wenn Henryk M. Broder uns, die deutsche Friedensbewegung und „die Deutschen insgesamt“ kritisiert (taz 19.1.91), so hat er einen Anspruch darauf, nicht nur ernstgenommen zu werden, sondern auch, daß ihm geantwortet wird. Ich will mich nicht mit der Feststellung aufhalten, daß es „die Deutschen insgesamt“ ebensowenig gibt wie „die bundesdeutsche Friedensbewegung“, obgleich es wohl zugestanden sein mag, daß aus der Entfernung da jeweils mehr Gemeinsamkeiten bestehen als es uns, die wir mitten drin stehen, erscheinen mag. Folglich kann auch ich nicht für „die Friedensbewegung“ sprechen, sondern nur für mich, der ich mich aber als Teil dieses Segmentes der (west- )deutschen Gesellschaft betrachte. Wir solidarisierten uns also nicht oder nicht unzweideutig genug mit dem lebensgefährlich bedrohten Staat Israel.

Die (ohnehin ja, wie das meiste, was wir dieser Tage äußern, nur verbale) bedingungslose Anerkennung des Staates Israel als einer aus tragischen, von uns Deutschen wesentlich mitverschuldeten Ursachen entstandenen sicheren Heimat für die verfolgten Juden steht m. E. außer Frage. Daß dieser konkrete Staat Israel, so wie er sich nach seiner Gründung entwickelte, nicht das ist, was viele große Zionisten der ersten und zweiten Stunde sich vorgestellt und vor dem sie selbst gewarnt hatten — stellvertretend sei hier nur der Name des großen Martin Buber genannt — sei einmal dahingestellt. Aber nicht „dahingestellt“ werden kann die Politik der israelischen politischen Führung seit dem 6-Tage-Krieg mit der Expansion und der — de facto — Annexion der „besetzten Gebiete“ seitdem. Es waren und sind nicht zuletzt die Freunde Israels, die sich inzwischen mit der problematischen Staatsgründung weit über den UN- Teilungsplan Palästinas hinaus abgefunden hatten, die seit mehr als 20 Jahren vor den katastrophalen Folgen der israelischen Expansions- und Besetzungspolitik warnten und zur Umkehr, zur Revision aufriefen. Sie / wir müssen doch deutlich und unzweideutig darauf bestehen, daß die rigide, arrogante, ja „rassistische“ israelische Politik spätestens mit Beginn der Intifada vor nunmehr fast drei Jahren einen wesentlichen Anteil hat an der Popularität des brutalen Saddam Hussein bei den arabischen Massen als eines „Befreiers“. Der ganz und gar friedliche, passive Widerstand der Palästinenser gegen ihre entwürdigende Behandlung durch den Staat Israel und sein Besatzungsregime, dessen fast tägliche Todesopfer kaum mehr als eine Zeitungsnachricht wert waren, hat doch ganz entscheidend dazu beigetragen, Saddam Hussein zu seiner expansiv aggressiven Politik zu ermutigen in der nicht ganz ungerechtfertigten Erwartung, die arabischen Massen als Waffe und Instrument seiner „anti- imperialistischen“ Politik einzukalkulieren. Wenn diese heute, wie berichtet wird, den Einschlag irakischer Raketen in israelische Städte bejubeln, so sollte das auch Henryk M.Broder zu denken geben. Das ist schlimm — aber es ist der Sturm, zu dem die Politik des Staates Israel den Wind gesät hat.

Man stelle sich vor, Israel würde sich noch heute bedingungslos aus den besetzten Gebieten zurückziehen, die einschlägigen UNO-Resolutionen akzeptieren und den Palästinensern dort das Recht geben, ihre eigenen Repräsentanten (es wären vermutlich zunächst die der verhaßten PLO) zu wählen und einen selbstbestimmten palästinensischen Staat zu bilden: Das wäre die schwerste und langfristig die wirklich entscheidendste Niederlage für Saddam Hussein.

Als mich kürzlich, vor dem schlimmen Datum des 15. Januar, jemand von den österreichischen Grünen fragte, was ich von einer Initiative hielte, eine politische Delegation in den Irak als „Schutzschild“ gegen den zu erwartenden amerikanischen Angriff zu entsenden, schlug ich vor: Schickt eine solche Delegation nach Israel, erklärt Euch als Schutzschild für dieses lebensbedrohte Land, aber fordert zugleich den sofortigen Rückzug aus den besetzten Gebieten. Nicht die Zerstörungstechnologie der USA schafft die Voraussetzungen für spätere Lösungen der Konflikte im Mittleren Osten, sondern eine radikale Wende in Israel selbst zugunsten einer proarabischen, propalästinensischen neuen Politik (im Sinne etwa Martin Bubers). Ehe es dafür nicht zumindest Anzeichen gibt, kann niemand — auch nicht Henryk M. Broder — erwarten, daß sich die Friedensbewegungen in Europa und in Deutschland ohne Wenn und Aber für Israel einsetzen. Ekkehart Krippendorff