Reaktorruine gefährdet Irakis

IAEO und Alliierte uneins über irakisches Atompotential  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Berlin (taz) — Die alliierten Bomber haben nach eigenen Angaben in den vergangenen Tagen auch die irakischen Atomanlagen erheblich beschädigt. Das Atomforschungszentrum des Irak in Bagdad-Tuwaihtha, 30 Kilometer vom Zentrum der Hauptstadt entfernt, besteht aus zwei Forschungsreaktoren, einem Brennelementelager und einer Fabrikationsanlage für Brennelemente mit einem Erdwall drumherum.

Das größere der beiden AKWs ist ein seit 1967 laufender 5 Megawatt- Reaktor sowjetischer Bauart (ITR 5000). Seit 1987 arbeitet in Tuwaitha zudem eine kleine Version des im Juni 1981 von den Israelis zerstörten Osirak-Reaktors mit 500 Kilowatt Leistung. Zudem gibt es Vermutungen, daß der Irak im Norden eine Urananreicherungsanlage errichtet hat.

Die Forschungsreaktoren sind wesentlich kleiner als normale Atomkraftwerke. Trotzdem könnte sich beim älteren Reaktor nach Ansicht von Experten „der hochradioaktive Abfall über Jahre angesammelt haben“. „Wenn der Reaktor als Produktionsreaktor für Bombenmaterial mißbraucht worden ist, würde auch Plutonium da sein und frei werden können“, so der Physiker und Proliferationsexperte Dieter von Ehrenstein. Unabhängig vom Plutoniumverdacht würde bei einem Volltreffer auf den laufenden 5-MW-Reaktor mit Sicherheit die Umgebung erheblich radioaktiv verseucht. Radioaktive Staubpartikel würden freigesetzt werden und wieder herunterkommen. „Dabei könnte nach israelischen Erkenntnissen auch die Bevölkerung von Bagdad erheblichen radioaktiven Verstrahlungen ausgesetzt werden“, so Ehrenstein.

Ehrenstein warnte auch vor politischen Folgen eines solchen Bombardements: „Das macht ein solches Faß auf.“ Schließlich hätten sich die westlichen Länder und die Sowjetunion im gerade erst ratifizierten 1. Zusatzprotokoll des Genfer Abkommens von 1949 geeinigt, solche Atomanlagen im Kriegsfall nicht zu bombardieren.

Interessanterweise liegen bei der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) in Wien keine Beschwerden anderer Staaten vor, daß der Irak seine von der IAEO kontrollierten Reaktoren zum Bombenbau mißbrauchen würde. Es gibt aber den Verdacht, daß der Irak die Urananreicherungsanlage im Norden zur Waffenproduktion nutzt.

Dagegen argumentieren die Alliierten, daß alle irakischen Atomanlagen zum Bombenbau mißbraucht werden sollen. Genau mit diesem Argument hatten die Israelis 1981 den noch unfertigen Osirak-Reaktor zerstört — allerdings vor der Inbetriebnahme, auch um die Zivilbevölkerung nicht zu gefährden.