Israel bemüht sich um Normalität

 ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin

Nach zwei Nächten ohne irakische Angriffe bemühen sich die israelischen Behörden jetzt, das öffentliche Leben soweit wie möglich zu normalisieren. Mit Ausnahme der großen Städte wie Tel Aviv und Haifa und Umgebung wird die Bevölkerung aufgefordert, an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren. Die Schulen bleiben allerdings weiter geschlossen. Die Universitäten haben die Semesterferien vorverlegt; auch der öffentliche Nahverkehr funktioniert nach wie vor nur spärlich. Ein Teil der Bevölkerung sucht immer noch Zuflucht außerhalb der großen Küstenstädte. Allein am Sonntag gab es zwei Dutzend Flüge von Tel Aviv nach Eilat, wo die Hotels bereits voll besetzt sind. Die Maschinen kehrten leer zurück. Ministerpräsident Jizchak Schamir wandte sich in seinem ersten öffentlichen Auftritt seit Mitte letzter Woche in einem Fernsehaufruf an die Israelis, das normale Leben wieder aufzunehmen. Er appellierte an das nationale Gewissen und die Disziplin und erklärte, daß „wir eben lernen müssen, mit dieser Situation zu leben“, obgleich die Bevölkerung weiterhin gefährdet sei. Der Feind glaube, daß die Bevölkerung sich einschüchtern lasse, wenn das tägliche Leben nicht weitergehe und die Wirtschaft zusammenbreche, sagte Schamir und schloß nicht aus, daß es weitere Opfer geben könne. Aber die Parole lautet jetzt: Business as usual. Generalstabschef Dan Schomron warnte vor einem falschen Sicherheitsgefühl. Auch offizielle Stellen weisen darauf hin, daß es weitere Raketenangriffe auf Israel geben kann.

Die demonstrative Entsendung weiterer Patriot-Abwehrraketen mit US-amerikanischem Personal hat das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung nur in beschränktem Ausmaß gehoben, selbst wenn die Abschüsse von Scud-Raketen in Saudi-Arabien spektakulär erscheinen. Die anhaltende Gefährdung steht für die Israelis gefühlsmäßig im Vordergrund, weil man nicht davon überzeugt ist, daß man sich auf die USA verlassen kann, da, so eine weit verbreitete Auffassung, sowohl Israel als auch der Irak nur als „Bauern“ im Schachspiel der USA im Nahen Osten angesehen werden. Der renommierte Kommentator für militärische Angelegenheiten der Zeitung 'Haaretz‘, Zeev Schiff, schrieb gestern, daß Israel durch seine Zurückhaltung nur gewinnen könne. Dies ermögliche eine bessere politische und militärische Zusammenarbeit mit den USA. Damit könne Israel langfristig gewinnen. Unter der arabischen Bevölkerung hält die Tendenz an, sowohl die irakischen als auch die amerikanischen Angriffe zu verurteilen. Gleichzeitig wird die jüdisch-israelische Zivilbevölkerung aufgefordert, in arabischen Städten und Dörfern Schutz zu suchen.