Infas: Wahl im Schatten des Golfkriegs

■ Vorläufiges Endergebnis: CDU 40,2% SPD 40,8%, Grüne 8,8%, FDP 7,4%, „Republikaner“ 1,7%

Bonn (dpa) — Im Schatten des Golfkrieges haben die hessischen Wähler am Sonntag eine Mehrheit für SPD und Grüne geschaffen, die ähnlich knapp ausfiel wie vor vier Jahren für CDU und FDP. Das Institut für angewandte Sozialwissenschaften (Infas) hat die Wahl untersucht und kommt unter anderem zu folgenden Erkenntnissen:

Die niedrige Wahlbeteiligung führt Infas auf mehrere Gründe zurück: „Sie entspricht zunächst einem allgemeinen Trend der letzten Jahre; Am 20. Januar dürften die unwirtliche Witterung und die dramatische Weltlage zusammengewirkt haben, um vielen Wählern den Gang ins Wahllokal doch zweitrangig erscheinen zu lassen. Darunter hatten alle Landtagsparteien in ähnlichem Maß zu leiden: Die CDU hat rund 200.000 Stimmen weniger zu verzeichnen als 1987 (davon gehen zwei Drittel auf die Wahlenthaltung), die SPD rund 120.000, die Grünen rund 50.000 und die Liberalen rund 40.000. Die Wahlmüdigkeit ist überall zu beobachten gewesen, in allen Landesteilen, in Stadt und Land.

Die großen Veränderungen gegenüber der Bundestagswahl erklären sich aus einem grundlegenden Themenwechsel. Am 2.Dezember gab es ein zentrales Thema (die deutsche Einheit) mit klaren Konturen und breitem Konsens. Am 20.Januar war die Stimmabgabe überlagert von einem stark verunsicherndem und fast lähmendem Problem — dem Golfkrieg. Gleichzeitig wirkten die Bonner Koalitionsverhandlungen eher ernüchternd auf die Anhänger der Regierung.

Bei einem so knappen Ergebnis werden auch auch die Spitzenkandidaten bedeutsam. Joschka Fischer verkörperte die Realo-Richtung der Grünen, Hans Eichel Solidität und Berechenbarkeit, Walter Wallmann dagegen war kein überragend populärer Landesvater, und das Zugpferd Genscher war nicht im Rennen.

In dieser Überlagerung vielfältiger Themen, Motive und Maßstäbe, die nicht unbedingt den traditionellen Mustern der Parteiloyalität folgen und zu einer anderen Art von Beweglichkeit führen, liegt das Besondere dieser Wahl, aber auch anderer Wahlgänge der letzten Zeit. Hessen hat sich hier schon immer als Vorreiter erwiesen. Die Unberechenbarkeit des einzelnen Wählers und die Regelmäßigkeit des Wahlausgangs schließen sich dabei nicht aus: Weil immer mehr Wähler sich immer weniger fest an eine Partei gebunden fühlen, kann es bei diffusen Stimmungslagen Bewegungen in alle Richtungen geben.

Deutlicher als traditionelle Unterschiede zwischen den Berufen oder zwischen Stadt und Land treten moderne Konfliktlinien hervor: Zwischen den Generationen, zwischen Frauen und Männern, zwischen den Gewinnern und Verlierern der Leistungsgesellschaft. So haben SPD und Grüne glatte Mehrheiten von etwa 60 Prozent bei den Wählern unter 35 Jahren; bei den über 60jährigen liegen sie gerade bei 40 Prozent. Diese Akzentsetzung ist vornehmlich den Grünen auf der einen, der CDU auf der anderen Seite zuzuschreiben.

SPD und FDP dagegen können in allen Generationen auf etwa die gleiche Unterstützung zählen. Die neuen Konfliktlinien und Konkurrenzlagen sind in den städtischen Ballungsgebieten, vor allem im Raum um Frankfurt, stärker ausgeprägt als in den nördlichen Landesteilen. Für viele dieser urbanen Wähler dürften alle vier Parteien inzwischen wählbar sein.

Diese Entwicklung hat auch Platz für rechtsextreme Potentiale. Nicht von ungefähr haben die Republikaner im Raum Rhein/Main mit deutlich über zwei bis an drei Prozent ihre größten Anteile erhalten.