„Verschnaufpause“ für die Grünen

■ Nach dem Ergebnis der hessischen Landtagswahl spricht man im Bonner Bundesvorstand erleichtert von „Trendwende“

Die spürbare Erleichterung, die sich am Sonntag abend in der Bundesgeschäftsstelle der Grünen breitmachte, verdeutlichte die Spannung, unter der die Partei seit dem Debakel der Bundestagswahlen stand. Eine erneute Niederlage, so mutmaßte mancher, wäre der Anfang vom endgültigen Ende gewesen. Nun spricht man von „Trendwende“. Zugleich ist charakteristisch für die Bundespartei, daß nach dem Erfolg der Blick nicht nach vorn, sondern sofort wieder nach innen gerichtet wird. Das Wahlergebnis in Hessen „hat nicht einem Flügel die Macht in die Hand gegeben“ und „entscheidet nicht die innerparteiliche Debatte“ über die Erneuerung der Partei, so der zur Parteilinken gerechnete Vorstandssprecher Hans- Christian Ströbele gestern morgen. Seine Sprecherkolleginnen Heide Rühle und Renate Damus, wie der gesamte Vorstand von Hessens Grünen für die Bundestagswahlniederlage verantwortlich gemacht, äußerten sich in ähnlicher Weise.

Freilich war es der hessische Realo und ehemalige Bundestagsabgeordnete Hubert Kleinert, der diese Diskussion schon nach der ersten Hochrechnung anheizte: Nach diesem Ergebnis bräuchte die Partei nicht mehr zu diskutieren, wie erfolgreiche Politik gemacht werden müsse. Von den drei Vorstandssprecherinnen wird das anders gesehen, doch bemüht man sich, die Partei nicht wieder aufzustören, die sich nach dem Wahldebakel vom 2. Dezember und dem danach knallhart aufgelebten Flügelgehacke derzeit wieder beruhigt hat.

Deshalb wird das Ergebnis als Erfolg der gesamten Partei verkauft und von den Sprechern werden vor allem externe Gründe für den Wahlerfolg bemüht. Sprecherin Renate Damus führt neben der „qualifizierten“ Arbeit der Hessen-Grünen den „Etikettenschwindel“ der Bonner Koalitionsverhandlungen an. Hinzu kämen der „Mitleidseffekt“ nach dem zu tief ausgefallenen Denkzettel der Bundestagswahl und der Golfkrieg, der den Grünen auf „makabre Weise“ das schon verloren geglaubte Friedensthema zurückgegeben habe. Sprecherin Heide Rühle verweist gar auf den geringfügigen prozentualen Verlust der Grünen in Hessen.

Ob der Wahlerfolg der Hessen- Grünen die Erneuerungsdebatte voranbringt oder zu neuen Turbulenzen führt, bleibt offen. Renate Damus ahnt, daß nach einer erneuten Niederlage und dem völligen Absturz der Grünen vor Augen das „Messerwetzen“ in der Partei noch kräftiger geworden wäre. Jetzt aber gebe es eine „Verschnaufpause“ und die Chance, den für den April geplanten Erneuerungsparteitag „rationaler“ vorzubereiten. Verständigt hat man sich in den letzten Wochen auf die Grundzüge einer Strukturreform, die der „organisierten Unverantwortlichkeit“ (Lippelt) ein Ende bereiten, die Rotation abschaffen und den Parteivorstand auf zwei Parteivorsitzende straffen soll. Eine Woche vor der Sitzung des Bundeshauptausschusses, derzeit noch das höchste Gremium der Partei zwischen den Parteitagen, ist bereits klar, daß diese nach undurchsichtigen Kriterien zusammengesetzte Laberbude ein letztes Mal zusammentritt. Künftig sollen die Landesvorstände direkt an der Entscheidungsfindung auf Bundesebene beteiligt sein. Dem entspricht auch die Überzeugung Ströbeles, daß die Erneuerung der Bundespartei nur aus den Ländern kommen könne.

Die als Linke geltende Renate Damus wirft Hubert Kleinert vor, den Pragmatismus zur Ideologie erhoben zu haben. Noch harscher reagierten die Fundamentalökologen, die aber derzeit in der Partei nahezu bedeutungslos sind und nicht nur wegen des PDS-Wahlaufrufs ihres Vordenkers Manfred Zieran von vielen für die Niederlage der Grünen verantwortlich gemacht werden. Der Wahlerfolg in Hessen sei auf die Kampagne gegen den Golfkrieg zurückzuführen, die gegen den „Widerstand“ der Hessen-Realos durchgesetzt werden konnte, vertritt die Beisitzerin im Bundesvorstand, Manon Tuckfeld: Eine „rosa-grüne“ Koalition sei lediglich ein „machtpolitisches Bündnis, in dem eine ökologische, soziale und antimilitaristische Politik nicht möglich ist. Sie ist damit ein Schlag ins Gesicht all derer, die zur Zeit gegen den Golfkrieg auf die Straße gehen.“ Nur „bewegungsorientierte“ Politik könne erfolgreich sein, vertreten die Fundamentalökologen und warnen vor dem „Durchmarsch“ der Realos, die die Grünen in eine „systemkonforme, kadermäßig orientierte Bürgerrechtspartei ohne basisdemokratische Elemente“ umwandeln wollen.

Mancher Parteilinke kalkuliert allerdings bereits damit, daß die Hessen-Realos gegenüber den neuen Regierungsaufgaben in Wiesbaden den Kampf um eine grüne Erneuerung zurückstellen werden. Zweifelhaft ist auch, ob es beim kommenden Parteitag die notwendige Zweidrittelmehrheit gibt, um die Unvereinbarkeit von Staatsamt und Parteiamt aufzuheben. Hans-Christian Ströbele, bei dem zweifelhaft ist, ob er noch einmal kandidiert, möchte Joschka Fischer jedenfalls nur als Minister, nicht als Parteivorsitzenden sehen. Er könne sich „vernünftigere Lösungen vorstellen“, anwortete Ströbele auf die entsprechende Frage. Gerd Nowakowski, Bonn