Rot-grüne Mehrheit in Hessen
: Lichtblick in schwarzen Zeiten

■ Mit knapper Mehrheit konnten am Sonntag in Hessen SPD und Grüne die bisherige CDU/FDP-Koalition ablösen. Der designierte Ministerpräsident Hans Eichel macht aus seiner Koalitionspräferenz keinen Hehl: Zwei Ministerposten hat er den Grünen, die in Hessen 8,9 Prozent der Stimmen erreichten, schon vor den Koalitionsverhandlungen Ende der Woche angeboten.

Für erste Heiterkeit sorgte an diesem Vormittag nach der Hessenwahl der Pressespiegel des Landtages. Dort wurde der noch amtierende Ministerpräsident Walter Wallmann auf der ersten Seite mit einem Bonmot zitiert, das der Christdemokrat am Freitag vor der Wahl in einem Redaktionsgespräch mit der 'Neuen Presse‘ fallen ließ: „Rot-Grün ist ein erledigtes Modell.“

Das „erledigte Modell“ präsentierte sich gestern im Landtag putzmunter der Landespressekonferenz — und ein erledigter Walter Wallmann hatte offenbar nicht mehr die Kraft, seinen nahezu vollständigen Rückzug aus der Landespolitik selbst zu vermelden. Der Generalsekretär der geschlagenen Partei, Franz-Josef Jung, verkündete mit Leichenbittermiene, daß Walter Wallmann weder als Oppositionsführer in den Landtag zurückkehren, noch als Ministerpräsidentenkandidat bei der Kür des neuen Landesvaters Anfang April der Union zur Verfügung stehen werde. Ob Wallmann auch auf sein Mandat im Landtag verzichten wird, konnte oder wollte Jung dagegen nicht sagen. Immerhin sei Wallmann noch bis 1992 Landesvorsitzender der hessischen Union. Man werde jetzt die Oppositionsrolle „auszufüllen“ haben — „besser, als das die Sozialdemokraten in den vergangenen Jahren getan haben“.

Hessen ging vor an diesem Wahlsonntag, wie das die Union landesweit plakatiert hatte — doch mit gingen diesmal Sozialdemokraten und Grüne, die in getrennten Pressekonferenzen nach ihren Wahlsiegen ihre einvernehmlichen Schlüsse aus dem Ergebnis zogen. Die Resurrektion der sozialökologischen Koalition der Jahre 1985/87 wird in den nächsten Wochen das Ziel der Aktivitäten der Verhandlungskommissionen beider Parteien sein. Und diese neue sozialökologische Koalition soll ein „Erfolgsbündnis und kein Konfliktbündnis“ werden. „Normale Koalitionsverhandlungen“ versprach der designierte Ministerpräsident Hans Eichel seinem designierten grünen Koalitionspartner. Die Grünen, so Eichel, seien in Hessen schließlich ein „stabiler und berechenbarer Faktor in der Landespolitik“. „Klare Patente“ in allen Sachfragen seien die Voraussetzung dafür, daß sich in Wiesbaden unter rot-grüner Ägide dann auch ein „normales Regierungsgeschäft“ entwickeln könne. Eichel: „Unsere Option geht eindeutig in Richtung rot-grüne Koalition — und ich habe davor keine Angst.“

Daß ein nach den Verkrampfungen der letzten Wochen erstaunlich locker auftretender Hans „Woody“ Eichel auch das Angebot von zwei Ministerposten an den Koalitionspartner in spe für „normal“ erachtete, hat bei den Grünen für Überraschung gesorgt. Die haben ihre „Normalität“ (Fischer) nämlich noch nicht abschließend eruiert. „Vier Ministerien fordern — drei bekommen“, hieß gestern die inoffizielle Parole im Landtagstrakt der Grünen. Den Posten des stellvertretenden Ministerpräsidenten wollte ihnen dagegen auch Hans Eichel nicht streitig machen, denn das gehöre mit zu seinen Vorstellungen von „Normalität“. Eichel: „Ich kenne kein Bundesland, in dem nicht der kleinere Koalitionspartner den stellvertretenden Ministerpräsidenten stellt.“

Bei den Grünen tagte am Vormittag die alte und neue Landtagsfraktion — vielfach in Personalunion und zusammen mit Vorständlern aus „wichtigen Kreisverbänden“. Auf einer für den kommenden Sonntag einberufenen Landesversammlung in Neu-Isenburg will die Partei die Koalitionsverhandlungskommission besetzen und Resolutionen gegen den Golfkrieg und für die Unabhängigkeit der baltischen Staaten verabschieden. Daß die „Eckpunkte des Wahlkampfes“ auch die Eckpunkte für die Koalitionsverhandlungen sein müssen, ist für Joschka Fischer „eine Selbstverständlichkeit“. Der ökologisch-soziale Umbau Hessens werde bei diesen Verhandlungen mit Sicherheit die „zentrale Rolle“ spielen. In diesem Zusammenhang richtete Fischer einen „dringenden Appell“ an die noch bis April amtierende CDU/FDP-Landesregierung, die abschließende Genehmigung für die Plutoniumfabrik der Firma Siemens in Hanau (Ex-ALKEM) nicht mehr zu erteilen, „weil sich die Mehrheitsverhältnisse geändert haben“.

Wie Hans Eichel sprach auch Joschka Fischer davon, daß in den Koalitionsverhandlungen „tragfähige Kompromisse“ ausgehandelt werden müßten. Fischer prophezeite „harte Verhandlungen“ in Sach- und Personalfragen, denn nur nach hartem Ringen seien Kompromisse möglich, die dann auch vier Jahre lang halten. „Gut abgeschnitten“ hätten die Grünen in Hessen, meinte Landesvorstandsmitglied Jürgen Frömmrich. Die niederschmetternden Ergebnisse der Bundestagswahlen seien in Hessen „wettgemacht“ worden.

Einen „neuen Stil“ im Umgang mit- und untereinander versprach auch Hans Eichel seinen Genossen und dem Partner. Eichel will auch im Landtag die Diskussionen „entkrampfen“. Im grünen Lager wuchs gestern der Respekt vor Eichel, der Gespräche mit den Grünen schon für diese Woche ankündigte. Mit FDP und CDU will Eichel sprechen, um sicherzustellen, daß von der Regierung Wallmann keine entscheidenden bundes- oder landespolitischen Weichen mehr gestellt werden. Das sieht auch Joschka Fischer ähnlich wie Eichel, der die noch amtierende Landesregierung aufforderte, bei den Finanzen die Hosen herunterzulassen. Ohne exakte Kenntnis der mittelfristigen Finanzplanung des Landes könne nämlich bei Koalitionsverhandlungen der Finanzierungsrahmen für neue Projekte nur „auf Verdacht“ abgesteckt werden.

Im Landtag kochte den ganzen Tag über die Gerüchteküche. Von den Grünen wurde Fritz Hertle als Kultusminister, Iris Blaul als Sozialministerin, Rupert von Plottnitz als Justizminister, Irene Soltwedel als Landwirtschaftsministerin und Joschka Fischer als Umwelt- respektive als Innenminister „gehandelt“. Und bei den Roten sei der als Kultusminister vorgesehene Hartmut Holzapfel das „schwächste Glied“ im Schattenkabinett der SPD. Klaus-Peter Klingelschmitt,

Wiesbaden