Die zensierten Bilder erscheinen im Unterbewußtsein

■ taz-Gespräch mit dem Bremer Psycho-Therapeuten Jan Bleckwedel über die psychologischen Folgen des Golfkriegs

Die Medien liefern zensierte Bilder über den technisch perfekten, sauberen Golfkrieg. Was sie aussparen, die Bilder von Blut und Zerstörung, liefert uns unser Unterbewußtsein, und sei es nachts im Traum, so der Bremer Psychotherapeut Jan Bleckwedel, mit dem die taz sich über Gefühle und Verdrängung angesichts der nahen Bedrohung unterhielt.

taz: Wie gehen die Menschen mit der Angst vor dem Krieg um?

Jan Bleckwedel: Es ist nicht nur Angst, sondern eine ganze Palette von Gefühlen: Angst, Zorn, Traurigkeit, Enttäuschung. Mit diesen Gefühlen sind alle beschäftigt, auch die, die suggerieren wollen, daß ihnen das nicht

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passiert. In der Berichterstattung wird uns das Bild eines technisch sauberen, empfindungslosen Krieg suggeriert. Es ist wichtig, daß wir uns klar machen: es ist zwar möglich, Bilder im Fernsehen zu zensieren, es ist aber nicht möglich, die Gefühle von Menschen zu zensieren. Man könnte sogar die Hypothese aufstellen, daß unserem Unbewußten durch all die Bilder, die nicht gezeigt werden, die Möglichkeit gegeben wird, das zu verarbeiten. Viele Leute schlafen schlecht oder träumen sehr intensiv. Gerade in Deutschland sind ja Bilder im kollektiven Bewußtsein gespeichert, die nie verarbeitet wurden. Und die werden auf einer unbewußten Ebene angeregt.

In Therapie begeben sich vor allem Leute, deren Verdrängung nicht so reibungslos funktioniert. Bekommen nicht die anderen, bei denen das gut funktioniert, durch diese sauberen Bilder die Legitimation für ihre Verdrängung?

Da spielen zwei Dinge ineinander: Zum einen die offizielle Propaganda, die zunehmend in Schwarz-Weiß-Malerei geht. Und dann eben der psychologische Prozeß, daß es natürlich viel leichter ist, eigene Gefühle zu verdrängen, wenn ich der Überzeugung bin, daß es nur einen Bösen gibt, und das ist Saddam. Dann habe ich ein eindeutiges Bild und kann mich psychisch stabilisieren. Diesen Mechanismus nutzen die Militärs seit Jahrtausenden aus. Vom therapeutischen Standpunkt her ist das Aushalten von Ambivalenzen ein Maß für die psychische Reife eines Menschen.

Es gibt die unterschiedlichsten Reaktionen auf den Krieg, von Lethargie bis zu Panik. Was ist eigentlich „normal“?

Die Kriegslogik besteht darin, daß zwei Parteien anfangen, sich völlig polar zu organisieren. Die einzige Form der Auseinandersetzung ist dann nur noch eine zerstörerische, gegeneinander. Es ist vorherzusehen, daß dieses Muster sich auch ausdehnt auf Länder, die nicht beteiligt sind, auch auf deren soziale Systeme und auch auf die intrapsychischen Systeme. Was ich mir wünsche, wäre ein Sowohl-als-auch: Daß

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Möglichkeiten geschaffen werden, über all das zu sprechen, ohne gleich zu sagen: das ist richtig, das ist falsch. Es gibt da eine Ungleichzeitigkeit, ganz unterschiedliche Reaktionen und Befindlichkeiten. Manche Leute empfinden eher Resignation, Ohnmacht, Lähmung. Andere sind sehr aktiv, bereiten Aktionen vor, demonstrieren. Es ist wichtig zu verstehen, daß das zwei Seiten einer Sache sind. Auch die Gruppen sollten akzeptieren, daß es unterschiedliche Formen des Umgangs mit der Situation gibt. Sonst agieren wir in den gleichen patriarchalischen Strukturen, die die Kriegslogik bestimmen.

Auffällig ist die große Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an den Aktionen...

Ja, bei aller Traurigkeit ist diese Reaktion wirklich erfreulich. Kinder und Jugendliche reagieren sehr spontan und direkt und lassen sich nicht so sehr auf diese Kriegslogik ein. Das ist ja wie so eine Art Kriegstrance, wo Leute nur noch in einer geschlossenen Art und Weise denken können. Wie viele Raketen werden abgeschossen, was ist die beste Strategie? Man muß sagen können, völlig außerhalb dieser Diskussion, völlig außerhalb der Frage, wer hat angefangen: jede Stunde werden jetzt Probleme für Monate, für Jahre geschaffen; medizinische Folgen, ökologische Folgen, politische Folgen... Kinder können das noch intuitiv spüren, und auch Frauen eher als Männer, und die Position, dann zu fordern: Schluß! Aufhören! Egal wie, die ist unheimlich rational.

Können Kinder diese Probleme überhaupt verarbeiten oder muß man sie dagegen abschotten?

Da muß man differenzieren. Das hängt zum Beispiel stark vom Alter ab. Ich habe selbst Kinder, die sind neun und elf Jahre alt. Die waren am Anfang sehr aktiv, wir haben das auch gefördert. Die haben sich jetzt aber wieder ein Stück weit zurückgezogen in ihre

Spielwelt. Ich glaube, es ist sehr wichtig, das auch zuzulassen und sie dabei auch zu begleiten. Sie brauchen die ihnen gemäße Art von Balance, um mit dem umzugehen, was passiert. Sie brauchen die Auseinandersetzung, sie brauchen aber auch einen Schutzraum, psychisch.

Ältere Jugendliche setzen sich sehr intensiv mit der Kriegsgefahr auseinander, scheinen förmlich darin zu versinken.

Jugendliche in dem Alter beschäftigen sich ohnehin sehr intensiv mit Fragen wie Leben und Tod. Deshalb betrifft sie das auch besonders. Wir sollten die nicht allein lassen. Wir sollten das Problem nicht an die delegieren, weil wir vielleicht schon so abgestumpft sind. Vor allem wenn das jetzt länger dauert und die anfängliche Aktivität in Resignation und Enttäuschung zurückschlägt. Vor allem, wenn diese Jugendlichen dann noch in der öffentlichen Dis

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kussion ausgegrenzt werden, gibt es zwei mögliche Reaktionen: Gewalt nach außen oder Gewalt nach innen.

Warum finden Sie es wichtig, sich jetzt als Therapeut zu der Situation zu äußern?

Die Psychotherapeuten haben sich, wie andere Berufsgruppen, während des Faschismus angepaßt und völlig versagt. Auch jetzt versuchen viele von uns wieder, sich herauszuhalten. Bei vielen allerdings gärt es auch. Wenn wir in unserer alltäglichen Arbeit den Versuch unternehmen, im Kontakt mit Menschen die zerstörten, zerspaltenen Zusammenhänge auf den verschiedensten Ebenen sinnlich lebbar zu machen, sie zu ermuntern, das Leben „zu riskieren“, können wir uns nicht, wenn der Kontext für solches Lebendigsein elementar bedroht wird, auf unsere geschützten therapeutischen Räume zurückziehen. Fragen: ra/ asp