Der Kiwi kann nicht fliegen aber riechen

■ Straußenbeine und Pinocchio-Nase: Der Kiwi ist eigentlich ein Vogel/ Drei leben im Zoo, doch noch kein Besucher hat sie je gesehen

Sie leben schon seit über vier Jahren im Berliner Zoo, aber kein Besucher hat sie je gesehen: die Kiwis. Der Grund: Die hühnergroßen, igelählichen Tiere mit den kurzen Beinen und riesigen Straußenfüßen sind absolute Nachttiere. Wenn die Zoobesucher tagsüber durchs Gelände streifen, liegen sie in ihrer Höhle und schlafen fest. Erst eine Stunde nach Eintritt der Dunkelheit werden sie aktiv und schaufeln die Lauberde im Käfig in der Fasanerie mit ihren großen Füßen nach Regenwürmern um.

Ganze drei Exemplare nördlicher Streifenkiwis (lat.: Apteryx australis mantelli) nennt der Zoo sein eigen. Im September 1986 bekam er vom neuseeländischen Zoo in Auckland ein Pärchen geschenkt. Zwei Jahre später schlüpfte das Kücken Alfred aus dem Ei. Alfreds Mutter starb ein Jahr später an einer Art Hepathitis. Als Ersatz wurde eine neue Henne aus Neuseeland geholt. Für Alfred, der sich in zunehmendem Alter als Henne entpuppte, war der Tod der Mutter kein großer Verlust. Er wurde ohnehin mit der Hand aufgezogen, weil Kiwis Rabeneltern sind. Auch in Freiheit versuchen sie ihre Jungen totzuhacken, wenn es diesen nicht gelingt, sich rechtzeitig zu verstecken. Die Hennen legen im Jahr maximal drei Eier, die von den Hähnen ausgebrütet werden. Diese sitzen bis zu 90 Tagen — dreimal so lang wie normale Vögel — auf den Eiern und werden kein einziges Mal von der Gattin abgelöst.

Ob die Kiwis vom Aussterben bedroht sind, weiß niemand so genau. Nach Angaben des Zoologen Rudolf Reinhard gibt es in Neuseeland fünf verschiedene Formen Kiwis. »Einige davon gelten als gefährdet, der nördlichen Streifenkiwi gehört noch nicht dazu«, berichtet er. Der Zoologe, der die Kiwis oft nachts in der Voliere beobachtet, ist von den Vögeln völlig faziniert: »Die Kiwis sind wie tote Äste. Sie sind Vögel, können aber nicht fliegen, sondern krauchen im Unterholz auf der Erde herum. Die Kiwis sind in der Evolution einen ähnlich falschen Weg gegangenen wie der Pandabär, der ein Raubtier ist und Pflanzen frißt«, weiß Reinhard. Eine weitere Besonderheit an den Kiwis sei, daß sie neben den Neuweltgeiern die einzige Vogelgruppe seien, die riechen könne. Kiwis seien große Individualisten und könnten bisweilen sehr aggressiv werden. Mit der Frucht Kiwi haben die Vögel nichts zu tun. Der Name kommt daher, daß die Hähne »kiwi, kiwi« rufen, während die Hennen eselsartige Laute von sich geben.

In anderthalb Jahren, wenn das neue Vogelhaus mit einer Nachtabteilung inclusive einer besonderen Klimanlage fertig ist, wird man auch die Kiwis im Zoo betrachten können. Das normale Nachtierhaus mit künstlichem Mondlicht, in dem die Zeit um 12 Stunden bei gleichbleibender feuchtwarmer Temperatur verschoben ist, wurde den Kiwis erspart. Die immergleiche Temperatur schadet den Vögeln, die keineswegs nur den Sommer lieben: Selbst bei Minus 20 Grad sind sie nachts draußen und scharren auf der Suche nach Futter im Schnee. plu