Rumpelstilzchen auf Malta

Christopher Marlowes „Der Jude von Malta“ an der Freien Volksbühne Berlin  ■ Von Esther Slevogt

Das Theater begann schon vor dem Theater. Ein paar junge Leute hatten das Ankündigungstransparent der Volksbühne mit einem Bettlaken verhängt, auf dem mit großen Lettern „Der Jude von Haifa. Weltpremiere“ geschrieben stand. Der etwas linkische Versuch, auf die Bedrohung Israels durch Sadam Husseins Giftgasbomben hinzuweisen, rief schnell einige Mitarbeiter der Volksbühne auf den Plan, die das Laken schleunigst entfernt wissen wollten. Als sei ihnen die Anspielung zu obszön, als passe sie nicht ins moralische Pathos, das den Ton der Anti-Kriegs-Demonstrationen der letzten Tage bestimmt hatte. Wo übrigens Proteste gegen Israels Bedrohung durch irakische Raketen kaum laut geworden sind. Umso lauter dagegen schrie man gegen eine sogenannte „Völkermordzentrale USA“, gegen Amerika, das jetzt die Kohlen aus dem Feuer holen muß, die auch deutsche Rüstungsfirmen dort hineingeworfen haben. Begleitet nicht zuletzt vom Schweigen derer, die sich jetzt so aus dem Fenster hängen, als gäbe es auf diese Weise das gute Gewissen zum Discount-Preis.

Natürlich habe man sich auch auf Seiten der Volksbühne über Formen des Protestes Gedanken gemacht, war bald in der albernen, nichts desto trotz erregt geführten Debatte um das schmuddelige Laken zu erfahren. Ob man denn überhaupt Theater spielen könne, denn es sei doch Krieg, und dann noch dieses Stück — was man übrigens insbesondere mit den „jüdischen Mitarbeitern des Hauses“ diskutiert habe. Das Transparent jedoch, das müsse weg. Eine junge Frau brach in Tränen aus. Ein junger Mann erzürnte sich über den Kleingeist der Repräsentanten des Theaters und erreichte schließlich, daß das Transparent jetzt nicht mehr ab-, sondern bloß noch umgehängt werden sollte. Eine kleine, beinahe lächerliche Szene — und doch theatralischer als alles, was sonst an diesem Abend folgen sollte.

Tragischer Held war das Theater selbst, einstmals ein stolzer Ort, eine gesellschaftliche Instanz. Jetz trat es hier als Meinungspopanz auf, mit Fossil gewordenen Ritualen politischer Auseinandersetzung, das in den jungen Leuten ein angemessenes Gegenüber fanden: das Theater als moralinsaure Anstalt.

Und dann kam Marlowe. Oder besser, dam kam Klette — Vorname Michael —, der das Stück in Berlin inszenierte. Die Absichten, die er mit seiner Inszenierung verfolgte, lassen sich eher dem Programmheft entnehmen. Auf der Bühne ist von Marlowe an diesem Abend in der Freien Volksbühne kaum etwas zu sehen.

Dabei meinte es die Gunst der historischen Stunde, wie so oft in den letzten Monaten, so gut mit dem Theater. Doch das Theater war wieder so sehr mit sich selbst beschäftigt, daß es sie versäumte. Ein Stück über die Mechanik der Macht und des Geldes, über Eroberung und Rückeroberung, Intrige und Krieg, Liebe und Mord — über Moslems, Christen und Juden.

Man muß Christopher Marlowe, der sein Stück 1590 schrieb, gar nicht zum Zeitgenossen machen, um zu begreifen, daß Lessing, der gut zweihundert Jahre später mit seinem „Nathan der Weise“ die Gegenversion zum „Juden von Malta“ erdachte, ein Träumer war. Vierhundert Jahre sind kein Tag. Marlowes Motto ist zeitlos: Money makes the world go round. In seinem Ruch werden Menschen Monster.

Daß soviel Finsternis nur mit den Mitteln der Groteske zu erzählen ist, mag sich auch Michael Klette gedacht haben. Doch dabei gerieten ihm schnell die Formen der Groteske mit denen der Klamotte durcheinander — und lüsterne Mönche, eine versoffene Äbtissin, als Juden verkleidete Schauspieler allein machen eben noch keinen Marlowe. Daran können auch die Schauspieler nichts ändern, denen es immerhin zu verdanken ist, daß der Abend hin und wieder doch noch Kontur bekam.

Gottfried Lackmanns Jude Barabas, ein Schlemihl eher, ein melancholisches Rumpelstilzchen. Stefan Wielands schlacksiger Selim Calymath oder Ulrich Kuhlmanns skrupelloser Gouverneur Ferneze — in der Inszenierung, die auf wohlfeile Gags statt auf die Durchleuchtung des Dramas setzt, bleiben sie einsame Solitäre. Und auch die Bühne, die Hartmut Meyer für die Berliner Produktion gebaut hat, die übrigens in Kooperation mit der Hochschule der Künste entstand, wo Klette zur Zeit einen Lehrauftrag hat, hätte eine bessere Inszenierung verdient.

Christopher Marlowe: Der Jude von Malta. Aus dem Englischen von Erich Fried. Regie: Michael Klette. Bühne: Hartmut Meyer. Mit Gottfried Lackmann, Natascha Bub, Steffen Münster, Ulrich Kuhlmann, Christiane Bruhn, Stefan Wieland. Freie Volksbühne Berlin. Weitere Aufführungen: 26., 27. Januar