: Das Trauma aus Vietnam
Amerikanische Wissenschaftler veröffentlichen neue Studie über gesundheitliche und psychische Folgen des Vietnamkriegs/ Heimgekehrte US-Soldaten starben häufiger durch Verkehrsunfälle, Selbstmord, Totschlag und Drogenüberdosen ■ Von Manfred Kriener
Während die USA im Irak einen neuen blutigen Krieg führen, ist die amerikanische Wissenschaft noch immer intensiv damit beschäftigt, die Folgen des Vietnamkriegs zu analysieren. Ende des vergangenen Jahres veröffentlichte das 'American Journal of Epidemiology‘ eine neue Studie über die gesundheitlichen und psychischen Folgen des amerikanischen Traumas in Südostasien. Es ist die bislang letzte von inzwischen mehreren Dutzend Arbeiten. Tenor dieser Untersuchungen: Kriegsveteranen aus Vietnam sterben auffallend häufiger durch Verkehrsunfälle, Selbstmord, Gewaltverbrechen und Drogengebrauch. Ihre Lebenserwartung ist deutlich geringer.
Die neue Vietnamstudie hat der Washingtoner Umweltepidemiologe Tim Bullman gemeinsam mit den Wissenschaftlern Han Kang und Kevin Watanabe vorgelegt. Die US- Forscher haben die Todesursachen von 6.668 Soldaten, die aus Vietnam zurückgekehrt waren, mit den Todesursachen von 27.917 Soldaten, die nicht in Vietnam waren, verglichen. Im Mittelpunkt der Studie stand die Suche nach Gesundheitsschäden, die mit dem dioxinhaltigen Entlaubungsmittel „Agent Orange“ zusammenhängen könnten. „Agent Orange“ wurde in 19.000 Einsätzen von der US-Luftwaffe in Vietnam versprüht und verwandelte eine Fläche von der Größe Baden-Württembergs in eine Wüstenlandschaft.
Spätfolgen von „Agent Orange“ unklar
Viele Vietnamveteranen machen das berüchtigte Herbizid auch für Gesundheitsprobleme wie Hautausschläge, seltene Krebsformen und für Mißbildungen bei ihren Kindern verantwortlich. US-Epidemiologen, die diesen Zusammenhang in der Vergangenheit untersucht haben, kamen zu widersprüchlichen Ergebnissen. So sind die Spätfolgen des großflächigen Herbizideinsatzes auf US- Soldaten bis heute umstritten geblieben. Zuletzt hatte eine Studie im Mai 1988 über eine erhöhte Sterblichkeit an Lungenkrebs und Non-Hodgkins- Lymphomen (eine seltene Tumorerkrankung) bei Vietnamveteranen berichtet und einen möglichen Zusammenhang mit „Agent Orange“ angedeutet. Dagegen fand jetzt die neue Arbeit von Bullman keine Auffälligkeiten bei den Krebstodesfällen.
Dafür bestätigte Bullman aber ganz andere Befunde, die schon in früheren Studien festgestellt worden waren: Vietnamveteranen sterben auffallend oft bei schweren Unfällen im Straßenverkehr und an „Vergiftungen“, die meist durch Überdosen an Drogen ausgelöst wurden.
Mit einer Erklärung für diese Befunde halten sich die US-Wissenschaftler zurück, sie erinnern aber an die schlechte psychische Verfassung der Vietnamveteranen. Ihre „emotionalen Probleme“ würden sich an „Alkohol- und Drogenmißbrauch, sozialer Isolation, Depressionen, familiären Problemen und posttraumatischen Streßzuständen“ zeigen.
Leicht erhöht ist in der neuen Bullman-Studie auch die Häufigkeit, mit der Vietnamveteranen Opfer von Mord und Totschlag wurden. Auch dies korrespondiert mit früheren Untersuchungen, wo zum Teil noch erheblich deutlichere Anstiege bei der Todesursache Mord und Totschlag gefunden worden waren. Das Trauma Vietnam hat hier offenbar zu großen Anpassungsproblemen geführt, die sich auch in größerer Gewaltbereitschaft, geringerer Frustrationsgrenze und erhöhter Aggressivität ausdrücken. Dies führt dazu, daß Vietnamveteranen häufiger an schweren Schlägereien und Gewaltverbrechen beteiligt sind.
Die Selbstmordrate fanden die Washingtoner Forscher nicht erhöht.
Dies widerspricht früheren Ergebnissen: Vor allem in den ersten fünf Jahren nach dem Krieg, so hatten US-Wissenschaftler Mitte und Ende der 80er Jahre herausgefunden, war die Selbstmordrate signifikant angestiegen. Diese ersten fünf Jahre von 1975 bis 1980 mit den Schwierigkeiten der Wiedereingliederung in die amerikanische Gesellschaft und der Verarbeitung der traumatischen Kriegserlebenisse waren die bittersten Jahre für die Kriegsheimkehrer. Um nicht weniger als 45 Prozent stieg in den ersten fünf Jahren die Gesamtsterberate der Vietnamveteranen (unabhängig von spezifischen Todesursachen) gegenüber der Vergleichsgruppe. Danach begann ein „Prozeß der Normalisierung“. Aber im Gesamtzeitraum bis heute ist die Sterblichkeit der zurückgekehrten Vietnamveteranen noch immer um 17 Prozent erhöht geblieben. Todesfälle, die auf Spätfolgen von Verwundungen zurückgehen, wurden dabei nicht berücksichtigt.
Vietnam: Für die Geschichte noch zu jung
Die US-Wissenschaftlerin Patricia Breslin hat die Situation der Vietnamveteranen in ihrer Studie vor zwei Jahren sehr gut zusammengefaßt. Sie schreibt: „In den Vereinigten Staaten herrscht Besorgnis darüber, daß die Mortalität unter Vietnamveteranen nach der Militärzeit ungewöhnlich hoch ist und daß bestimmte Todesursachen disproportional erhöht sind. Unnatürliche Todesursachen wie beispielsweise Autounfälle, Selbstmord und Totschlag werden oft als gesundheitliche Folgen genannt, die mit dem Militärdienst in Vietnam assoziiert sind.“
Robert Muller, querschnittsgelähmter Vorsitzender der Vietnamveteranen, hat bei den Gedenkfeiern zehn Jahre nach dem Ende des Vietnamkriegs noch auf ein ganz anderes Problem aufmerksam gemacht. Für ihn sind nicht allein das Elend dieses Krieges mit seinen 2 Millionen toten Vietnamesen und 58.000 toten Amerikanern das Problem, sondern die Vergeßlichkeit. Vietnam, sagt er, sei noch zu jung, um in den Geschichtsbüchern aufzutauchen, aber schon zu alt, um das Denken der Jüngeren noch zu beeinflussen.
Fünf Jahre später kämpfen diese „Jüngeren“ in Kuwait und im Irak um Freiheit und Öl.
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