Nachzahlung

■ Die MieterInnen der Ex-DDR werden für 40 Jahre rückwirkend zur Kasse gebeten

Wortbruch“, klagt der Berliner Mieterverein, habe die Bundesregierung begangen. Denn die Mieten in der DDR sollten doch nur mit dem Einkommen steigen. Im Oktober werden sie vervierfacht — mindestens. Der Vorwurf des Wortbruchs ist jedoch nicht ganz berechtigt. Zum einen sollte natürlich nicht die Miete jedes einzelnen DDR-Mieters mit dessen Einkommen steigen, sondern die des DDR-Durchschnitts — wer etwas anderes geglaubt hatte, ist hoffnungslos naiv. Zum anderen war nie die Rede davon, daß die Mieten prozentual mit dem Einkommen steigen sollten. Gemeint waren Absolutbeträge. Und absolut gesehen steigt die Grundmiete ab 1. Oktober um rund 70 Mark pro Haushalt. Die Gesamtmiete, die durchaus die 1.000-Mark-Grenze überspringen kann, setzt sich aus Heizkosten, Betriebskosten und vor allem aus Renovierungsumlagen zusammen. Und daß die so hoch ausfallen würden, wurde von der Bonner Koalition nie bestritten.

Daß eine Familie in der ehemaligen DDR mit vielleicht 1.500 Mark Nettoeinkommen ab Oktober also 300 bis 400 Mark für Miete plus Heizung auf den Tisch legt, ist für ein kapitalistisches westeuropäisches Land völlig normal. Was aber ganz und gar unerträglich ist, ist die Umlage der Modernisierung und künftig auch der Instandsetzung auf die Miete, die noch dazukommen wird. Ganz abgesehen davon, daß es sich da um aberwitzige, unbezahlbare Beträge handeln wird: Eine Umlage der Instandsetzung — die ja in Westdeutschland vom Vermieter bezahlt werden muß — bedeutet im Klartext, daß die DDR-Mieter und -Mieterinnen die zuwenig gezahlte Miete der letzten 40 Jahre nachzahlen. Die Lohndifferenz der letzten 40 Jahre wird ihnen jedoch niemand erstatten.

Wer die Hoffnung hegt, die Mieter und Mieterinnen der Ex-DDR würden in den Mietstreik treten, sobald die Sanierungsumlage sie trifft, wird sich wohl täuschen: denn diese Umlage fällt ja nicht stadtviertelweise an, sondern bei einzelnen, über das ganze Land verstreuten Häusern. Die betroffenen Mieter und Mieterinnen, die sich ihre Vollkomfortwohnung nicht mehr leisten können, werden dann eben gutbetuchten Zuzüglern Platz machen müssen. Sie werden schlicht in den unrenovierten Alt- oder Plattenbau verdrängt, wie man es aus Westdeutschland kennt. Dies ist ein zweiter Grund zu verlangen, daß die Bundesregierung die Sanierung der ostdeutschen Städte aus öffentlichen Geldern finanziert und nicht aus den Taschen der Ost-Mieter und -Mieterinnen. Sanierung wird auch in westdeutschen Städten, vor allem in West- Berlin, vom Staat bezuschußt. Die Menschen in der ehemaligen DDR dürfen nicht schlechter gestellt wrden. Eva Schweitzer