Männliche Friedensunfähigkeit

■ Kriege als Gegenbewegung zu „Verweichlichung“ und „Dekadenz“ ESSAY

Im Krieg breiten sich meist Eindimensionalität, mindestens jedoch Blickverengungen aus. Wer versucht, die vorherrschende Golfkriegsberichterstattung zu verfolgen, stellt fest: Die Adrenalinspiegel steigen an, die Sprache verrät eine verengte Sicht und wird zugleich ungenau. Als eines der inzwischen zahllosen Beispiele wünschte sich Tino Schwierzina (SPD) am 19.1.91 mittags im SFB- Fernsehen, die „Schläge“ gegen den Irak mögen „schnell, hart und erfolgreich“ sein. Gewollt oder ungewollt bricht sich eine oft kaum verhüllte Gewaltfaszination Bahn. Angst und Hilflosigkeit treten neben sie oder sind gar deren Begleiterinnen (taz nicht ausgeschlossen: die Schreiberin).

Ganz offenkundig gibt es so etwas wie ein kollektives Feeling, das alle oder doch viele Zwischentöne zu beseitigen droht. Zwischentöne sind jedoch dringend erforderlich, wenn Konflikte heiß zu laufen drohen oder, wie jetzt, bereits zum Krieg eskaliert sind. Gefühle und Einstellungen werden aber gegenwärtig offenbar auf ein einfaches Schwarz-weiß- Schema, ein für die Konfliktlösung handlungslähmendes Pro und Contra verkürzt. Da wird differenziertes Denken schwer. Dies wäre jedoch überaus nötig, um aus der aufgeladenen Erstarrung herauszukommen. Handlungalternativen geraten sonst nicht in den Blick.

Wiederherstellung „schwacher“ Männlichkeit

Welche Logik hier vorherrscht, ist unschwer auszumachen. Die Hoffnung, die Menschheit wäre bereits friedensfähiger, hat offenkundig getrogen. Dies wird, so steht zu befürchten, so lange richtig bleiben, wie die Gewaltordnungen, die das individuelle und kollektive Handeln bestimmen, nicht durchbrochen oder aufgelöst werden. Früher war die Deutung von Kriegen unter anderem als Gegenbewegungen zu sogenannter „Verweichlichung“ und „Dekadenz“ bekannt. Daß es „unfein“ geworden ist, in dieser Weise davon zu reden, ändert nichts an ihrer Gültigkeit. Im Gegenteil: Da sie nicht benannt wird, vielleicht gar — als Tabu — auch nicht werden darf, hat sie die ganze Kraft einer verdrängten Wahrheit.

Wer nicht ganz blind ist, konnte sehen: Die beiden Hauptfiguren im medialen Schlagabtausch, Bush und Hussein , gewannen in den verschiedenen vorbereitenden Eskalationsstufen bis in die Körpersprache hinein immer mehr an straffer Männlichkeit. Sichtbar wurde hier, was eigentlich aus der Geschichte lernbar gewesen wäre: Kriege dienen unter anderem zur Wiederherstellung von (unsicherer, schwacher) Männlichkeit. Das hierarchische Geschlechterverhältnis (und andere Unterordnungsverhältnisse, Rassismus eingeschlossen) wird wiederhergestellt. Kriege sind zugleich der verheerendste Ausdruck der Tatsache, daß „starke“ Männer schwache Männer sind.

Diese geschichtliche Wahrheit bedeutet, daß der „männliche“ Sozialcharakter (also nicht alle real existierenden Männer, wohl aber auch eine ganze Reihe Frauen) friedensunfähig ist. Dies will begründet werden: Der männliche Sozialcharakter — zumindest der europäische — ist durch Abspaltungen aller weichen, nicht-„rationalen“ und nicht-herrschaftsfähigen Eigenschaften zustande gekommen. Die Entwicklung der „modernen“ Gesellschaft hat dem Handelnden unter anderem abverlangt, sich selbst zuzurichten oder zurichten zu lassen, um handlungsfähig, energisch, dynamisch, durchsetzungsfähig, erfolgreich usw. zu werden. Dies schließt ein hohes Maß an Selbstdisziplinierung ein. Und dieser Prozeß der „männlichen“ Selbstdisziplinierung dauert nun schon mindestens 200 Jahre an, wenn nicht erheblich länger.

Die abgespaltenen, weichen, nicht-„rationalen“ und nicht herrschaftsfähigen Eigenschaften wurden nicht schlicht auf die Seite gepackt, etwa als mögliche Verhaltensreserve gelagert. Sie wurden nach unten abgespalten. So gab/gibt es die Phantasie des „weißen Mannes“ von dem „edlen Wilden“, den „unschuldigen Kindern“ und eben auch die Phantasie von der „friedlichen, gefühlvollen Frau“. Dies alles läßt sich vielfältig nachlesen, spätestens seit der Aufklärung bis heute.

Friedfertigkeit bedeutet Verweiblichung

Hier liegt nun einer der Knackpunkte für die friedensunfähige „männliche“ Kultur.Die nach unten losgeschlagenen Eigenschaften sind, wenn sie vom „Mann“ erwartet werden, offenbar auch in der internationalen Politik bedrohlich. Sie bedrohen „seine“ Herrschaft und „seinen“ Herrschaftsanspruch. Hinterhältigerweise ist eine der Konsequenzen, daß der Frieden in dieser Kultur nicht herrschaftsfähig ist. Er wurde an „die Frau“ hinunter „gereicht“. Für „den Mann“ schließt Friedlichkeit ausgesprochen oder unausgesprochen Verweichlichung/Verweiblichung, zumindest jedoch die Angst davor, ein.

Wenn es Tendenzen gibt, etwa auch aktuell, von Frauen friedensfördernde Handlungen zu erwarten, oder wenn Frauen selbst meinen, dazu besonders berufen zu sein, kann es sein, daß die Gewaltordnung dadurch auch noch unterstützt wird. Sie turnen schlicht auf einem nicht-herrschaftsfähigen Gelände herum, wenn sie nicht gleichzeitig versuchen, sich in die Machtfrage einzumischen.

Die härteste Selbstdisziplinierung „des Mannes“ erfolgt inzwischen in nahezu allen Gesellschaften im Militär. Dort wird aber zugleich dem Ich mehrfach und nachhaltig der Boden unter den Füßen weggezogen. Und so können die Soldaten denn, wie jetzt am Golf, als Teile von Megamännlichkeitsmaschinen aufeinander losgeschickt werden. Der Boden wird ihnen auf verschiedene Weise weggezogen. Niemand interessiert sich für die zivile Indentität von SoldatInnen. Diese muß geradezu egal gemacht werden, angefangen bei der Uniform. Entindividualisierung ist angesagt. Dies geschieht mit dem Ziel, die Ego-Attrappe des „Kampfmaschinenteils“ herzustellen. Der Boden wird dem Ich jedoch auch dadurch weggezogen, daß die formale Ordnung des Militärs eher auf ein passives Bewegtwerden (Befehl und Gehorsam) mit weiblichen Anteilen (Putzen, Spindordnung) gerichtet ist. Schließlich und am tiefgreifendsten wirkt die Vorbereitung aufs Töten, die durch einen (ideologischen) Verdrängungsvorgang begleitet wird. Auch hier wird sichtbar: Der „disziplinierte Mann“ hat eine fast „bodenlose“ Identität. Sie ist aufs äußerste geschwächt.

Die der Gewalteskalation zugrunde liegende Logik zu begreifen, ist nur ein winziger Schritt zu ihrer Auflösung und zu ihrem Aufbrechen. Eine „weiche“ und „dekadente“ Gesellschaft ist friedensfähiger als die gegenwärtig wieder hergestellte harte „männliche“. Und für Frauen ist zur Zeit in vielen Staaten eine Stunde der Hilflosigkeit und Kollaboration. Weibliche Soldaten sind Kollaborateurinnen im härtesten Sinne.

Was sind Merkmale einer „weichen“, „dekadenten“ Gesellschaft, bzw. wie können Schritte zu ihr aussehen? Wichtig für die Gewaltdeeskalation ist es, Dinge offen zu lassen, nicht recht haben, keine „Ordnung“ herstellen zu müssen. „Große Ideen“ sind in der Regel Ausdruck von herrschaflichem Gewalt- und Dominanzdenken. Die von Bush gegenwärtig wiederholt beschworene Vision einer „global order“, aber auch die Idee von einer arabischen Welt sind gewaltträchtig. Sie sind Ausdruck einer Politik von oben nach unten. „Weich“ wäre tiefes Mißtrauen gegenüber jedem zentralisierten und zentralisierenden Ordnungsdenken. Dieses Mißtrauen ist besonders geboten, wenn dieses Ordnungsdenken von oben ausgeht. Eine friedensfähige Vernetzung geht von unten und der gleichen Würde aller Menschen aus und nicht von den katastrophenträchtigen „old boys' networks“. Astrid Albrecht-Heide

Die Autorin ist Professorin für Sozialisations-, Friedens- und Konflikforschung an der TU Berlin